Europa trocknet aus

Weltwoche, Gisela Müller-Plath, 17.7.2022

Meldungen über Dürren häufen sich. Oft ist der Wassermangel menschengemacht, aber mit dem Klimawandel hat es nichts zu tun.

Jeden Sommer wiederholt sich inzwischen das Spiel: Irgendwo führen Flüsse wenig Wasser, trocknet der Boden aus, herrschen Brände. Die Medien kommentieren dies fast schon reflexartig mit Wendungen wie «die schlimmste Dürre», «immer weiter zunehmend» und vor allem «aufgrund des menschgemachten Klimawandels», als ob das zum Grundwissen gehöre. «Die Schweiz trocknet aus», titelte am 12. Juni 2022 die NZZ am Sonntag und kam zum Fazit: «Bei einem ungebremsten Klimawandel muss sich die Schweiz auf Sommer gefasst machen, wie sie am südlichen Mittelmeer üblich sind.»

Schlimmeres hört man aus der Po-Ebene in Italien, über deren Wassermangel derzeit viele Medien berichten. Antonello Pasini, Klimaforscher am nationalen Forschungsinstitut CNR, erklärt dazu: «Wir sehen hier in Italien die Auswirkungen des Klimawandels. In Italien und der gesamten Mittelmeerregion haben sich die Luftströmungen verändert. Daher kommen häufiger Hochdruckgebiete nach Italien, die bislang über der Sahara hingen. Wir müssen uns jetzt sofort darum bemühen, weniger Treibhausgase zu produzieren, damit der Klimawandel nicht schlimmer wird, und dann müssen wir lernen, besser mit dem wenigen Wasser umzugehen, das wir haben.» Derweil werden aus dem Nordosten Deutschlands Waldbrände gemeldet, und kurzschlussartig wird gleich die Energiewende gefordert.

Was steckt dahinter? Werden Böden in Europa tatsächlich immer trockener, Flüsse wasserärmer, Waldbrände häufiger? Wie weit ist es eine natürliche oder eine vom Menschen verursachte Entwicklung? Seit Beginn des 21. Jahrhunderts scheinen sich Dürrejahre zu häufen: Als besonders heiss und trocken gelten in Mitteleuropa 2003, 2015, 2018. Ist das klimatisch ungewöhnlich, oder gab es das früher auch?

Katastrophe von 1540

Die bislang wohl schlimmste Dürrekatastrophe Mitteleuropas seit Menschengedenken, welche die Geschehnisse des 21. Jahrhunderts bei weitem übertraf, ereignete sich 1540. Eine Forschergruppe um Oliver Wetter von der Universität Bern analysierte mehr als 300 Chroniken und veröffentlichte die Ergebnisse im Fachblatt «Climatic Change». «Das klare Wetter und die Sonnenglut begannen am letzten Tag des Februar und dauerten bis zum 19. September, 26 Wochen lang. Es hat in diesen an nicht mehr als sechs Tagen geregnet», hatte Heinrich Bullinger aus Zürich auf Latein festgehalten. Und A. Moller notierte in der Chronik der sächsischen Stadt Freiberg: «Im Sommer ist eine so gewaltige Hitze und Dürre gewesen / dass der Torantische Wald [Thüringer Wald] an etlichen Orten sich entzündet / und die Wasser fast gantz ausgetrocknet / worauff aus mangel des mahlens eine geschwinde Thewrung und grosse Noth unter dem Armuth erfolget.»

Fast alle Chroniken berichten von anhaltender Gluthitze, ausgetrockneten Seen und Flüssen, von Ernteausfall, Tiersterben, Hungersnot und zahlreichen Wald- und Stadtbränden. Die Wetterrekonstruktion ergab: Während die Elbe im sogenannten Jahrhundertsommer 2003 noch die Hälfte der üblichen Wassermenge führte, war es 1540 nur ein Zehntel. In der Schweiz gab es 81 Prozent weniger Tage mit Niederschlag als im Durchschnitt des 20. Jahrhunderts und 40 Prozent weniger als im trockensten Jahr seit 1864. Da naturwissenschaftliche Kenntnisse fehlten, wurden Schuldige gesucht, die mit schwarzer Magie für die Dürrekatastrophe verantwortlich gewesen sein sollten. Ihr Leben endete auf dem Scheiterhaufen.

Als Ursache der Jahrtausenddürre machten die Klimahistoriker ein riesiges Hochdruckgebiet von Südwest- bis Nordosteuropa aus, das sich bis in grosse Höhen erstreckt und mit dem Azorenhoch verbunden hatte. Dieses Hoch hatte über elf Monate die Westwinde blockiert, die sonst für Regen gesorgt hätten. Dieselbe sogenannte Omega-Wetterlage war auch für die grossräumigen Hitzesommer 2003 und 2018 verantwortlich.

Die Hitze von 2003 galt bislang als Folge der teils menschengemachten Klimaerwärmung. Doch so einfach ist es wohl nicht. Rüdiger Glaser von der Universität Freiburg sagte dazu im Spiegel: Dass es 1540 ohne den künstlich verstärkten Treibhauseffekt zu einer noch schlimmeren Hitze gekommen sei, relativiere die Beurteilung des menschlichen Einflusses auf das Wetter 2003. Auch im 20. Jahrhundert gab es schon schlimmere Jahre. So führte der Rhein 1921 so wenig Wasser, dass eine bis dahin unbekannte grosse Höhle auf der Zürcher Seite des Rheinfalls zutage trat.

Handelt es sich früher wie heute um Extreme natürlicher Klimaschwankungen, oder werden heutige Dürren zusätzlich durch einen menschengemachten Klimawandel befeuert?

Umstrittene Dürregeschichte

2021 kamen zwei hochrangige wissenschaftliche Publikationen zu gegensätzlichen Ergebnissen. Der Satz «Europa erlebt seit 2015 die schlimmste Sommer-Trockenperiode der letzten zwei Jahrtausende» machte medial Furore. Hintergrund war die Arbeit eines Autorenteams um Ulf Büntgen in Nature Geoscience. Mit einer Isotopenanalyse aus Überresten von Baumholz, hauptsächlich aus Tschechien, hatten sie einen jahrtausendelangen Trend zu immer trockeneren Sommern in Mitteleuropa rekonstruiert, an dessen Ende ein Tiefpunkt (also Trockenheit) in den Jahren 2015 bis 2018 liegt.

Mit den Klimamodellen des Uno-Weltklimarats IPCC liess sich dieser Verlauf nicht beschreiben. Dennoch schliessen die Autoren daraus, dass die extremen Dürren am Ende der Kurve «vermutlich durch die anthropogene Erwärmung und die damit verbundene Verschiebung in der Zugbahn des sommerlichen Jetstreams» verursacht seien. Sie bleiben eine Erklärung dafür schuldig, wie es zu dem beschriebenen 2500 Jahre langen Dürretrend gekommen sei und wodurch im zyklischen Auf und Ab die ersten vier von fünf extremen Dürrephasen verursacht worden sein sollen. Die Erklärung «menschliche CO2-Emissionen», die nur für den letzten Tiefpunkt einer Kurve mit fünf Tiefpunkten gilt, wirkt nicht gerade überzeugend.

Zu ganz anderen Ergebnissen kam eine Forschergruppe um Monica Ionita in Nature: Communications Earth and Environment. Sie rekonstruierte die Dürregeschichte Mitteleuropas für die vergangenen tausend Jahre mit einer wesentlich vielseitigeren Datengrundlage. Neben Baumringanalysen wurden Meeresoberflächentemperaturen und der Salzgehalt des Atlantiks nachgebildet sowie atmosphärische Zirkulationen samt Niederschlägen, in welche wiederum historische Chroniken über Temperaturen, Regenfälle, Wasserstände von Flüssen, Ernteerträge und anderes einflossen. Das bemerkenswerte Resultat: Das letzte Jahrhundert, in dem ein fast kontinuierlicher Anstieg des menschengemachten CO2 gemessen wurde, gehöre insgesamt zu den feuchteren Perioden. Und die Dürresommer der Jahre 2003, 2015 und 2018 lägen noch vollständig im Bereich der natürlichen Klimaschwankungen.

Was ist die Ursache für solche Diskrepanzen in der Fachliteratur? Neben unterschiedlichen Rekonstruktionsmethoden für historische meteorologische Daten kann das Ausmass einer Dürre räumlich (Grösse des betroffenen Gebietes) angegeben werden, zeitlich (Dauer der Dürre) oder als Stärke (Grad der Austrocknung). Klar ist: Die Hypothese der CO2-Emissionen als Ursache wird methodenübergreifend nicht unterstützt – aber warum ist es dann gegenwärtig so trocken?

Keine erwähnenswerten Trends

Vereinfacht ausgedrückt, ist Trockenheit beziehungsweise Dürre die direkte Folge eines Niederschlagsmangels, wird aber durch weitere Faktoren beeinflusst. Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) definiert vier Kategorien: die meteorologische, die landwirtschaftliche, die hydrologische und die sozioökonomische Dürre.

Wiesen und Feuchtauen, die früher jede Siedlung umgaben, sind verschwunden.

Niederschlagsmangel führt umso schneller zu Bodentrockenheit, je mehr Wasser durch hohe Temperaturen, geringe Luftfeuchtigkeit und viel Sonnenschein verdunstet. Zudem verstärken trockene Böden die Hitze noch, da die Bodenfeuchtigkeit normalerweise mehr als die Hälfte der Netto-Sonneneinstrahlung absorbiert. Man spricht hier von einem selbstverstärkenden Albedo-Effekt. Sowohl im historischen Dürresommer 1540 als auch 2018 war dies der Fall.

Hinzu kommen weitere Faktoren. So führt in Deutschlands Nordosten ein Regenmangel besonders schnell und langanhaltend zu Dürre, da der märkische Sandboden das Wasser kaum bindet. Die Folgen des Regenmangels von 2018 halten bis heute im Boden an, wie der im Internet verfügbare «Dürremonitor Deutschland» des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung UFZ in Leipzig zeigt. Trockene Wälder begünstigen dann Brände. Die diesjährige Austrocknung der Po-Ebene führen Fachleute zurück auf eine Kombination von zu geringer Niederschläge seit Dezember, einer regionalen, mehrwöchigen Sonnen- und Hitzeperiode seit dem Frühjahr und zu wenig Schneefall im Winter in den südlichen Alpen, aus denen sich ein grosser Teil der Zuflüsse speist.

Wie haben sich die Dürre verursachenden Faktoren in den letzten Jahrzehnten entwickelt, und ist hier ein Einfluss der menschlichen CO2-Emissionen zu erkennen? Wie die Grafik zeigt, gibt es bei den Niederschlägen keine erwähnenswerten Trends in der Schweiz, auch in Deutschland nicht. Allerdings sind in beiden Ländern die Sommertemperaturen angestiegen, und zwar in der Schweiz um 1,5 Grad und in Deutschland um 1,1 Grad in hundert Jahren. Auch die Sonnenscheindauer nahm leicht zu. Ohne auf mögliche Ursachen für diese Anstiege einzugehen: Könnte dies zu einer Austrocknung der Böden geführt haben?

Wie gesagt, wird Dürre als direkte Folge eines Niederschlagsdefizits definiert. Bei allen bislang dokumentierten Dürren wurde eine lange Periode ohne oder mit sehr wenig Niederschlag beobachtet, was durch verdunstungsfördernde Faktoren wie hohe Temperaturen und Sonne verstärkt wurde. Umgekehrt ist es mit genügend Regen auch bei hoher Temperatur nie zu einer Dürre gekommen; man vergleiche mit den Tropen. Daher erscheint es schwer vorstellbar, dass ein Temperaturtrend allein ohne Niederschlagsveränderungen zu einem Dürretrend führen kann.

Intensivierung der Landwirtschaft

Manchmal ist das Argument zu hören, es falle in den letzten Jahrzehnten zwar nicht weniger Regen, aber Starkregen hätten zugenommen, die der Boden nicht angemessen aufnehmen könne. Daten des Deutschen Wetterdienstes können dies nicht bestätigen: Ohne das Ausreisserjahr 2002 gibt es keinen Trend, und gerade im Dürrejahr 2003 fiel besonders wenig Starkregen.

Zusammengefasst unterstützt die Empirie nicht die allenthalben geäusserte Behauptung, Dürren und Waldbrände seien Folgen des anthropogenen Klimawandels. Dennoch ist der Mensch nicht unschuldig: Mit Landschaftsveränderungen trägt er durchaus dazu bei, den Wasserhaushalt ungünstig zu beeinflussen.

Der Mensch greift an verschiedenen Stellen in den Wasserhaushalt der Böden ein, und zwar direkt, ohne einen klimamodellierten Umweg über CO2-Emissionen. «Die Landwirtschaft macht über 50 Prozent des Wasserverbrauchs in der Po-Ebene aus», berichtet Giovanni Rallo von der Universität Pisa in National Geographic. «In der Vergangenheit waren die wichtigsten Anbauprodukte Gemüse oder Getreide, die man mit wenig zusätzlicher Wasserzufuhr weitgehend mithilfe des Regens anbauen konnte. Aber es gab eine Intensivierung der Landwirtschaft mit höherem Wasserbedarf.» Und je heisser es ist, desto mehr Wasser muss da fliessen. Ein Teufelskreis. Und in Brandenburg brannten Kiefernforste, die mit ihrem schnellen Wachstum den Boden ausgesaugt haben, bis der Grundwasserspiegel sank. Noch ein Teufelskreis.

Der Naturwissenschaftler und vielfach ausgezeichnete Umweltschützer Josef Kowatsch von der Schwäbischen Alb nennt sechs menschliche Einflüsse auf den Wasserhaushalt der Böden: moderne Agrarindustrie, moderne Waldwirtschaft, Verlust der Auen in Tälern, Städtebau, Strassenbau und wohlstandsbedingtes Absenken des Grundwasserspiegels. So wurden Flächen mit Drainagen trockengelegt, Hecken, Bäume, Streuobstwiesen entfernt, die oberen wasserspeichernden Humusschichten zerstört, «Betonackerböden» lassen kaum noch Wasser durch. In den Wäldern verdichten Gross-Erntemaschinen den Boden.

Gleichzeitig sind Wiesen und Feuchtauen verschwunden, die früher jede Siedlung umgaben. Die Bebauung im vormals grünen Umland von Städten wächst seit Jahrzehnten. Siedlungsnamen zeigen: In Wohngebieten wie «Wasserstall» gibt es kein stehendes Wasser mehr und im Baugebiet «Teich» keine Teiche. Städte forcieren die Trockenlegung, denn dort ist es im Sommer 5 bis 10 Grad wärmer als im Umland («Urban Heat Island»), was diesem weitere Feuchte entzieht. Insgesamt sickert so immer weniger Regenwasser in die Tiefen, in denen das Grundwasser gespeichert ist. Zusätzlich holen wir unser Trink-, Spül- und Bewässerungswasser von dort und legen den Bodenkörper unter uns weiter trocken.

Einfluss der Wetterlage

Früher wie heute: «Megadürren» wie in den Jahren 1540, 1921 und 2018 werden offenbar durch die Omega-Wetterlage hervorgerufen, einem grossräumigen Hochdruckgebiet über Mitteleuropa, das flankiert ist durch zwei Tiefdruckgebiete und dadurch stationär gehalten wird. Dass solche Wetterlagen im Zuge eines menschengemachten Klimawandels häufiger würden, da dieser den Jetstream verschöbe, ist bislang reine Spekulation. Eine Untersuchung weiträumiger Druckverhältnisse, die den europäischen Regen unabhängig von menschengemachten CO2-Emissionen beeinflussen, hat die Autorin dieses Beitrags kürzlich im renommierten Nature-Journal Scientific Reports zusammen mit zwei Mitautoren veröffentlicht.

Die Analyse der europäischen Dürregeschichte und der Wetterdaten der letzten 150 Jahre zeigt, dass die menschenerzeugten CO2-Emissionen kaum zu solchen Ereignissen beitragen können. Es fällt nicht weniger Regen als früher und auch nicht anders verteilt. Vielmehr sind es menschengemachte Boden- und Landschaftsveränderungen, die den Regen schneller über die Flüsse in die Meere leiten und so den Grundwasserspiegel senken. Dies beschleunigt nicht nur bei Regenmangel die Austrocknung der Böden und die weitere Erhitzung der Luft, sondern lässt auch bei Regenüberschuss die Flusspegel schneller anschwellen, wie gerade ein Abschlussbericht zum Hochwasser im Ahrtal gezeigt hat.

Gisela Müller-Plath ist Professorin für Methodenlehre und maritime Psychologie an der Technischen Universität Berlin. Eine ausführlichere Version des Textes erscheint auf der Plattformwww.eike-klima-energie.eu/.