
Die Energiewende muss zu Ende gedacht werden. Dazu gehört, ihre Voraussetzung mitzubedenken – wie etwa die Nebenprodukte des Kupferbergbaus.
NZZ, Walter Rüegg, 22.07.2025

Hochradioaktiver Abfall gilt als das ultimative Supergift – das für mindestens eine Million Jahre sicher endgelagert werden muss. So zumindest das gängige Narrativ. Doch die harten Fakten sind weit weniger alarmierend. Einig ist man sich, dass das grösste Risiko von einer Einnahme ausgeht. Die entscheidende Grösse dabei ist die Toxizität, doch das Thema ist vielen ein Buch mit sieben Siegeln. Auf jeden Fall hat die Öffentlichkeit kaum eine Ahnung, ob diese Stoffe hundert-, tausend- oder gar millionenmal so tödlich sind wie «normale» Gifte wie Strychnin.
Lüften wir das Geheimnis: Fein vermahlen und auf einmal eingenommen, kann ein Gramm hochradioaktiver Abfall tödlich wirken.
Nach tausend Jahren braucht es wegen des Zerfalls bereits rund zehn Gramm – etwa so viel wie bei Aspirin oder Kupfer – für eine letale Wirkung.
Der Abfall – der abgebrannte Kernbrennstoff – besteht aus einer hochschmelzenden (2800 Grad Celsius) und extrem wasserunlöslichen Keramik. Selbst fein vermahlen nimmt der Körper dieses strahlende Pulver nicht auf, er scheidet es umgehend auf natürlichem Weg wieder aus. Sehr viel gefährlicher wird es, wenn man alle radioaktiven Elemente – die Spaltprodukte (vor allem Cäsium-137 und Strontium-90) und die Aktiniden (vor allem das Plutonium) – aus der Keramik herauslöst. Das ist kein einfacher Prozess, dazu geeignet wäre etwa eine Wiederaufbereitungsanlage.
In diesem Extremfall genügen etwa 0,05 Gramm für eine letale Einmaldosis – es handelt sich um ein starkes Gift, vergleichbar mit Strychnin. Aber bei weitem kein «Supergift» wie zum Beispiel militärische Nervengifte oder gar das natürliche, von gewissen Bakterien gebildete Botulinumtoxin. Und das Risiko, an Krebs zu erkranken? Klar ist, dass eine tödliche Einmaldosis, über Jahre verteilt, zu einem wesentlich kleineren Sterberisiko (durch Krebs) führt – möglicherweise, bei genügend kleiner Dosisrate, sogar zu gar keinem. Alle in diesem Artikel aufgeführten Dosen betreffen den Worst Case, die tödlichen Einmaldosen von bioverfügbarem Abfall.
Sinkende Strahlengefahr
Nach dreihundert Jahren sind die Spaltprodukte praktisch verschwunden, dem radioaktiven Zerfall sei’s gedankt. Damit weitgehend verschwunden ist auch die externe Strahlengefahr. Nüchtern betrachtet, ist das Risiko, welches dann von den hochradioaktiven Abfällen ausgeht, nicht mehr besonders hoch. Natürlich enthalten die Abfälle auch nach einer Million Jahren, sehr stark verdünnt, noch ein paar tödliche Dosen, ein Chemiker könnte sie daraus extrahieren. Einfacher hätte er es dabei mit normaler Erde, sie enthält im Mittel pro Kubikmeter über hundert entsprechende Dosen, vor allem Arsen (gut 5 Gramm), Beryllium, Thallium und Blei.
Noch viel einfacher: Man entnimmt das Arsen einer anderen, einfacher zugänglichen Quelle.
Der wahre Weltmeister in Sachen Giftmüll ist der Bergbau, und gerade der Kupferabbau spielt hier in der obersten Liga. In den sogenannten «Tailings» der Minen kommt Arsen in Konzentrationen von bis zu mehreren Prozent vor – und bei dieser Zusammensetzung bleibt es auch nach einer Million Jahren. Jährlich fallen im Kupferbergbau etwa 40 Milliarden Tonnen toxischer Schlämme an, die insgesamt rund hundert Billionen tödliche Giftdosen enthalten. Eine Menge, die jeden Massstab sprengt.
Kupfer – die glänzende und die schmutzige Seite
Kupfererze enthalten typischerweise nur ein halbes Prozent des begehrten Metalls – der Rest ist Abfall. Um an das Kupfer zu gelangen, wird das Erz in gewaltigen Mühlen zu feinem Pulver zermahlen, dann in Säuren oder chemischen Schaumbädern aufgelöst. Anschliessend wird das Kupfer extrahiert, zurück bleiben riesige Mengen giftiger Schlämme. Diese enthalten Arsen, Cadmium, Quecksilber, Blei und andere toxische Schwermetalle, im Schnitt etwa eine letale Dosis pro 300 Gramm.
Kupfer ist ein Wundermetall, es steckt in jedem Smartphone, jedem Computer, jedem Elektromotor und ist auch ein Schlüsselelement für die Energiewende. So enthält ein typisches Solarmodul etwa ein Kilogramm Kupfer (mit Anteil Kabel und Wechselrichter). Dieses eine Kilogramm Kupfer verursacht beim Abbau etwa 200 Kilogramm toxische Schlämme. Streng nach Verursacherprinzip müsste zu jedem Solarmodul auch ein entsprechendes Fass mit Tailings zum Entsorgen mitgeliefert werden.
Die Rückstände von Uranminen sind ähnlich toxisch (die radioaktiven Stoffe mitberücksichtigt). Allerdings sind die Mengen – verglichen mit dem Kupferbergbau – winzig. Die Schweizer Kraftwerke werden während ihrer Laufzeit insgesamt rund 5000 Tonnen hochradioaktive Abfälle produzieren. Diese sollen in 800 Metern Tiefe endgelagert werden, anfänglich mit gegen 50 Milliarden Todesdosen (Worst Case). Eine gewaltige Giftmenge – und auf den ersten Blick eine gewaltige Zumutung für die Bevölkerung vor Ort.
Ein paar Vergleiche können helfen, sich die Verhältnisse vorzustellen. In einem Kubikkilometer Erdboden befinden sich im Mittel 5000 Tonnen Arsen, 35 000 Tonnen Blei und viele weitere toxische Substanzen. Allein mit den beiden Elementen Blei und Arsen liesse sich eine Person über 100 Milliarden Mal vergiften. Und so kommt es, dass sich in der Erde über einem Tiefenlager mehr chemische Giftdosen befinden als in den radioaktiven Abfällen – natürlich eingelagert in das Gestein, aber doch grundsätzlich in Reichweite des menschlichen Wirkens.
In beiden Fällen wird hier mit dem schlechtesten Fall gerechnet, das heisst mit einer hohen Bioverfügbarkeit dieser Stoffe. Und wenn wir schon beim Vergleichen sind: Der Boden beherbergt nicht zuletzt gewaltige Mengen radioaktiver Substanzen natürlichen Ursprungs, pro Kubikkilometer unter anderem rund 20 000 Tonnen Uran und Thorium, ohne dass sich jemand gross darüber aufregen würde.
Irrgeleitete Ängste
Ein letzter Vergleich sei noch erlaubt: Unser «normaler» Sondermüll enthält rund zehnmal so viele letale Giftdosen wie die radioaktiven Abfälle. Und der Kupferbergbau setzt an einem einzigen Tag mehr letale Dosen frei als alle Kernkraftwerke dieser Welt in einem ganzen Jahr.
Eigentlich unglaublich: Vergleicht man die «solaren» Bergbauabfälle mit den nuklearen Abfällen (einschliesslich des Uranbergbaus), zeigt eine sorgfältige Abschätzung, dass die Giftmengen – bezogen auf die produzierte Strommenge – ähnlich ausfallen: etwa 50 000 tödliche Dosen pro Gigawattstunde. Nachrechnen erlaubt. Ein entscheidender Unterschied ist aber, dass nach einigen hundert Jahren von den nuklearen Giften nur noch ein Bruchteil übrig ist – dank dem radioaktiven Zerfall. Die chemischen Abfälle hingegen bleiben unverändert toxisch. Man muss fast sagen: Leider sind sie nicht radioaktiv.
Auf der Ebene der Praxis kommt hinzu, dass die stark strahlenden radioaktiven Elemente in wasserunlöslicher Keramik oder in Glas eingesperrt und in dickwandigen Stahlbehältern verpackt sind. Sie werden später tief unter der Erde endgelagert – im eigenen Land. Oder, viel besser, man nutzt sie als Brennstoff in dafür geeigneten Reaktoren, wobei sie weitgehend vernichtet werden. Ganz anders die Bergbauabfälle, sie werden meist in offenen Staubecken gelagert, und zwar oft in Ländern mit laxen Sicherheitsvorschriften und löchrigen Umweltschutzgesetzen. Dazu passt, dass es über die Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung und die Natur kaum verlässliche Daten gibt.
Photovoltaik – Licht und Schatten
Schaut man auf das Endprodukt des Bergbaus, bietet die Photovoltaik natürlich auch beeindruckende Vorteile – andernfalls hätte sie sich kaum so rasant verbreitet. Sie erzeugt Strom lautlos, praktisch emissionsfrei (lokal), ohne bewegliche Teile und lässt sich in kleinen Einheiten rasch installieren. Und ihre CO2-Bilanz fällt im Vergleich zu fossilen Quellen günstig aus.
Doch bei aller Begeisterung sollten auch die Schattenseiten berücksichtigt werden: Der Rohstoffbedarf, umgerechnet auf eine erzeugte Kilowattstunde, liegt um ein Vielfaches höher als bei fossilen, nuklearen oder Wasserkraftwerken – und dieser Materialhunger verursacht erhebliche Abfallmengen und Umweltbelastungen.
Das gibt anderen Formen der Energiegewinnung keine Carte blanche; die in den nuklearen Abfallmengen enthaltenen Giftmengen sind gewaltig, und sie müssen mit Respekt behandelt werden. Doch andere Abfälle unserer Zivilisation erzeugen ebenfalls gewaltige Giftmengen – und übertreffen in gewissen Fällen die Problematik des Atommülls um ein Vielfaches. Dennoch werden sie vergleichsweise sorglos behandelt. Klar ist, die Energiewende verlangt eine sorgfältige Priorisierung. Dabei sollten wir uns nicht von Ängsten blind machen lassen, es gilt stattdessen, den Tatsachen nüchtern ins Auge zu schauen.
Walter Rüegg ist promovierter Kernphysiker und Buchautor. Er war jahrelang als einer der Chefphysiker der Schweizer Armee tätig.