«Sie wollen Trumps Namen auslöschen»

Weltwoche, 13.01.2021, Urs Gehriger:

Der Historiker und Bestsellerautor Victor Davis Hanson über den Sturm aufs Kapitol, die Rache der Trump-Feinde und den Vertrauensverlust der Trump-Wähler in das System. Seit Trump-Anhänger am 6. Januar das Kapitol gestürmt haben, besteht für die Massenmedien und Kommentatoren kein Zweifel, wer dafür die Schuld trägt. «Mr Trump hat diese Angriffe ausgelöst», schrieb die New York Times in einem Leitartikel. «Er wettert seit Monaten gegen das Urteil, das die Wähler im November gefällt haben. Er rief seine Anhänger auf, sich [. . .] in Washington zu versammeln, und ermutigte sie, zum Kapitol zu marschieren. Er sagte ihnen, dass die Wahl gestohlen worden sei. Er sagte ihnen, sie sollten kämpfen.»

Victor Davis Hanson gehört zu den prominentesten Kommentatoren Amerikas. Der Historiker und Stanford-Professor ist Autor des Bestsellers «The Case for Trump», der von der Kritik mit viel Lob bedacht wurde. Selbst die New York Times, das Flaggschiff der Anti-Trump-Armada, hat Hansons Buch respektvoll rezensiert. Und das Magazin The New Yorker hält fest: «Viele der Bücher, die in Unterstützung von Donald Trumps Präsidentschaft geschrieben wurden, sind von Anhängern der Trump-Familie oder Scharlatanen verfasst worden, die Geld verdienen wollen. Victor Davis Hanson ist anders.»

Wir erreichen den 67-jährigen Klassizisten per Telefon auf seiner Farm in Selma, Kalifornien, während sich Trumps Präsidentschaft einem turbulenten Ende zuneigt, das Züge einer griechischen Tragödie angenommen hat.

Weltwoche: Victor Davis Hanson, ist Donald Trump schuld an den Angriffen auf das Kapitol? Hat der Präsident seine Anhänger zu Gewalt angestiftet?

Victor Davis Hanson: Ich muss sehr behutsam formulieren, denn es handelt sich um ein kompliziertes Thema. Hat Donald Trump den Leuten gesagt, sie sollen Gewalt anwenden? Nein. Hat Donald Trump sie aufgefordert, zum Kapitol-Gebäude zu gehen und ihrem Anliegen Gehör zu verschaffen? Ja. Dachte er, dass sie Gewalt ausüben würden? Nein. Hätte er denken müssen, dass sie dazu fähig sind? Ich kenne die Antwort darauf nicht. Viele sind davon überzeugt und sehen ihn als den Schuldigen.

Weltwoche: Die Sicherheitskräfte schienen von dem Ansturm komplett überrumpelt. Wie konnte so etwas geschehen?

Hanson: Ich denke, die Capitol Police hatte, um ehrlich zu sein, noch nie eine gewalttätige Trump-Kundgebung gesehen. Sie hatten die Antifa gesehen. Sie hatten «Black Lives Matter»-Aktivisten den ganzen Sommer über gesehen, sie sahen Plünderungen, Brandstiftung, 700 verletzte Polizisten. Sie hatten die Anhörungen von Brett Kavanaughs Berufung zum Oberrichter gesehen, wo eine aufgebrachte Menge versuchte, in den Kongress einzudringen und die Türen des Obersten Gerichtshofs aufzudrücken. Sie sahen die «Black Lives Matter»-Kundgebung vor dem Weissen Haus, wo eine Kirche angezündet wurde. Aber sie erwarteten nicht, dass diese Trump-Leute jemals solche Dinge tun würden, und wurden überrumpelt.

Weltwoche: Präsident Trump rief seine Anhänger auf, sich am 6. Januar in Washington zu versammeln und zu protestieren, während im Kapitol Joe Biden offiziell zum Präsidenten gekürt wurde. Er twitterte: «Seid dabei, seid wild.»

Hanson: Ich denke, wenn er gesagt hätte: «Es gibt keine Chance, dass wir diese Wahl kippen werden, denn wir befinden uns jetzt in einem Stadium, in dem sie eine Formalität ist. Wir haben heute alle unsere Solidarität gezeigt, und es ist Zeit, nach Hause zu gehen», dann hätte es offensichtlich keine Gewalt gegeben. Als er sagte: «Geht rüber und zeigt Präsenz», musste er naiv gewesen sein, würde ich meinen, auch wenn er anfügte: «Geht friedlich!»

Weltwoche: Trump sagte: «Ich weiss, dass jeder hier bald zum Kapitol-Gebäude marschieren wird, um friedlich und patriotisch seine Stimme zu erheben.»

Hanson: Ihm wird von der Linken vorgeworfen, Gewalt befürwortet zu haben, was er nicht getan hat. Was in Amerika regelmässig passiert, weil wir eine radikal-demokratische Gesellschaft sind: In den ersten 48 Stunden nach einem grossen Ereignis greift Hysterie um sich. Dann werfen die Leute einen zweiten Blick auf die Sache. Und konservative Medien bringen stundenlang Zitate von Vizepräsident Kamala Harris. Über die Unruhen im letzten Sommer, bei welchen es zu Plünderungen und Gewaltexzessen kam, sagte sie: «Die Proteste werden nicht aufhören [...] und sie sollten es auch nicht.» Oder von der demokratischen Kongressabgeordneten Maxine Waters aus Los Angeles, die zur Jagd auf Trumps Kabinett-Mitglieder aufrief: «Und wenn Sie jemanden aus diesem Kabinett in einem Restaurant, in einem Kaufhaus, an einer Tankstelle sehen, dann gehen Sie raus und bilden Sie eine Menschenmenge. Und Sie sagen ihnen, sie sind nicht mehr willkommen, überall.» Dies führt dazu, dass sich die Leute zu beruhigen beginnen. Und dann überreagiert die Linke wieder. Sie fordert den Rücktritt von Republikanern wie Ted Cruz. Buchverträge von Trump-Verbündeten werden aufgekündigt. Da sind wir jetzt, in der zweiten Phase.

Weltwoche: Wie beurteilen Sie Trumps Reaktion nach dem Sturm auf das Kapitol?

Hanson: Donald Trump hat am Tag danach eine sehr gute Rede gehalten. Er war nüchtern, besonnen, versöhnlich, er hat seine Niederlage bei den Wahlen eingestanden, so dass sich bei der Linken bereits wieder Wut aufbaut. Die Leute fanden es hingegen sehr unprofessionell und unverantwortlich, dass Joe Biden in seiner Rede nach dem Angriff die Capitol Police rassistisch nannte. Er teilte aus, nannte Trump-Anhänger Schläger. Er sagte, wenn «Black Lives Matter»-Aktivisten zum Kapitol marschiert wären, hätte es viel mehr Verhaftungen gegeben. Jeder weiss, das Gegenteil ist wahr. «Black Lives Matter»-Aktivisten wurden nie strafrechtlich verfolgt für die Gewalt, die sie begangen haben. Im Kapitol wurde eine junge, unbewaffnete Frau von der Capitol Police erschossen. Ich denke, das Blatt wendet sich. Es wird sich endgültig wenden, denn jetzt, da ihrer Macht kein Hindernis mehr im Weg steht, werden die Demokraten Dinge tun, wie wir sie in Amerika seit den frühen sechziger Jahren nicht gesehen haben, als sie alle Ebenen der Regierung kontrollierten.

Weltwoche: Die Demokraten streben ein erneutes Amtsenthebungsverfahren Trumps an. Was halten Sie von dem Vorstoss nur wenige Tage vor seinem Ausscheiden aus dem Amt?

Hanson: Das ist bloss virtue signaling [Zurschaustellung moralischer Werte, Red.], denn es bleiben bloss noch ein paar Tage. Sie müssen Tatbestände von high crimes and misdemeanors [Verrat, Bestechung oder andere schwere Verbrechen und Vergehen, Red.] finden. Das wäre ein langwieriger Prozess. Das Ganze ist ein Versuch, Trump weiter zu demütigen. Sie wollen, dass er der erste Präsident in der Geschichte des Landes ist, der nicht nur angeklagt wurde wie Andrew Johnson oder Bill Clinton, sondern auch tatsächlich verurteilt und aus dem Amt entfernt wird und das Präsidentenamt nicht mehr antreten könnte. Das ist die Absicht hinter dem Vorstoss. Aber die Kläger realisieren, dass das zu viel Arbeit ist, also brachten sie den 25. Verfassungszusatz ins Spiel.

Weltwoche: Gemäss dem 25. Zusatz der Verfassung kann ein Präsident des Amtes enthoben werden, wenn er als amtsunfähig erklärt wird.

Hanson: Das erfordert, dass der Vizepräsident das Kabinett zurückzieht. Mike Pence sagte sofort, dass er das nicht tun würde. Und hinter vorgehaltener Hand äusserten Leute auf der linken Seite Bedenken. Sie sagten: «Wenn wir das machen, dann kommt Joe Biden in Schwierigkeiten, denn er hat ein paar kognitive Probleme. Was passiert in sechs Monaten, wenn er mit einem ausländischen Führer spricht und den Kopf verliert? Das ist durchaus möglich.» Also haben sie diese Option runtergespielt.

Weltwoche: Es scheint eine enorme Lust zu geben, nicht bloss alles zu diskreditieren, wofür Trump steht, sondern auch sein Vermächtnis zu zerstören und jeden anzuschwärzen, der mit ihm in Verbindung steht.

Hanson: Das ist eine treffende Einschätzung. Leute, die ihn unterstützt haben, werden verfolgt. Man versucht, ein Klima der Angst zu schaffen. Ich glaube nicht, dass dies sehr lange anhalten wird, weil sie jetzt an der Macht sind. Die Demokraten werden Dinge tun, die sehr umstritten sein werden. Es sind keine Demokraten, es sind radikale Linke, die das Land übernommen haben. Es wird Widerstand geben.

Weltwoche: Wie weit wird diese Tilgungskampagne der Demokraten reichen?

Hanson: Wenn sie sich die Aussenpolitik ansieht, glaube ich nicht, dass die Biden-Regierung sagen wird, Trump habe sich in Bezug auf China geirrt, wir müssten uns mit ihnen anfreunden und einen Reset durchführen. Sie wird nicht sagen, Saudi-Arabien solle Israel niemals anerkennen oder man müsse die Grenzmauer zu Mexiko abreissen. Wahrscheinlich werden die Demokraten das irgendwann tun, aber im Moment sind sie in der unangenehmen Lage, dass sie zugeben müssen, dass Trump uns vor dem Ausbruch der Covid-Krise eine ziemlich gute Wirtschaft beschert hat. Sie werden zugeben müssen, dass die Aussenpolitik, über die sie sich lustig gemacht haben, eigentlich ziemlich gut ist. Es gibt einen Streit unter ihnen darüber, ob sie einfach behaupten sollen, dass sie selbst dafür verantwortlich sind und eine Zeitlang nichts ändern sollen. Aber Sie haben recht, sie wollen Trumps Namen auslöschen. Sie wollen jeden zerstören, der ihn unterstützt hat. Sie wollen abschreckende Exempel statuieren.

Weltwoche: Trump hat die politische Elite in ihrem Nerv getroffen. Er hatte gelobt, den «Sumpf» in Washington trockenzulegen. Er hat die Blase der politischen Korrektheit zum Platzen gebracht. Sehen wir jetzt den Rachefeldzug seiner Feinde?

Hanson: Ich denke, das ist eines von drei Motiven für das Vorgehen gegen Trump. Trumps Feinde haben das Gefühl, lächerlich gemacht worden zu sein. Im Gegensatz zu John McCain, Mitt Romney und George W. Bush hat er sich nicht an die Regeln gehalten. Er nannte Leute Idioten und Versager, und das empfanden sie als Demütigung. Hinzu kommt die Angst vor Trump, denn nachdem sie ihn vier Jahre lang als Rassisten beschimpft hatten, bekam er trotzdem immerhin 12 Prozent der schwarzen Stimmen. Das ist nicht viel, aber viel mehr als andere Republikaner vor ihm. Er erhielt 36 Prozent der Latino-Stimmen. Die Linken dachten immer: «Wow, wir sind die revolutionäre Klassenpartei.» Aber das sind sie nicht. Die Demokraten sind die Partei der sehr reichen Klasse, des Silicon Valley und der Wall Street und der sehr Armen. Aber die Mittelklasse und die untere Mittelklasse, die hat Trump ihnen weggenommen. Gewerkschaftsmitglieder haben für ihn gestimmt, das hat ihnen ungemeine Sorgen beschert.

Weltwoche: Und das dritte Motiv?

Hanson: Das dritte Motiv ist Trumps Aussenpolitik: Die Demokraten «liebten» die Republikaner, die in den Irak oder nach Afghanistan in den Krieg zogen, die eine harte Linie gegen Nordkorea fuhren. Dann kam Trump daher und sagte: «Ich werde mit Nordkorea reden müssen.» Er sagte: «Ich will keine sinnlosen Kriege mehr führen in Afghanistan oder in Syrien.» Die Linken sagten: «O mein Gott, er hat dieses Thema an sich gerissen.» Sie wussten nicht, was sie mit ihm machen sollten, weil er kein traditioneller, schleichender, wohlhabender Republikaner war. Er war ein Streithammel. Er fühlte sich in der Unter- und in der Mittelschicht zu Hause, und er war kein Rassist. Er mochte Menschen, egal, ob schwarz, braun oder asiatisch. Er wollte nur, dass die Mittelschicht Erfolg hat. Er war ihnen sehr unheimlich.

Weltwoche: Trump wurde zur Stimme der vergessenen Männer und Frauen.

Hanson: Das war er.

Weltwoche: 74 Millionen Amerikaner haben für ihn gestimmt. Viele von ihnen haben das Gefühl, dass sie mit Trump jetzt ihre Stimme verlieren. Was wird mit ihnen geschehen?

Hanson: Sie werden sehr an den Rand gedrängt werden. Es sind sehr verbitterte Menschen. Sie sind sehr wütend. Viele stammen aus der weissen Unter- oder Mittelschicht. Sie werden als privilegiert oder rassistisch angegriffen. Sie schauen Football oder Basketball, und sie werden wegen ihrer Herkunft beleidigt. Sie gehen auf Facebook und werden beleidigt. Sie schalten den Fernseher ein und werden beleidigt. Sie sagen: «Was ist mein Verbrechen? Ich glaube daran, dass Amerika ein aussergewöhnliches Land ist. Ich will mich nicht entschuldigen müssen für meine Kultur oder meine Rasse oder meine Eltern. Wir sind das grossartigste Land der Welt.» Sie sind beleidigt.

Weltwoche: Was geschieht mit Trumps Einfluss auf die konservative Basis? Wird ihn jemand beerben?

Hanson: Ich denke, Trump wird einen Teil seines Einflusses behalten, aber nicht genug, um der Anführer zu bleiben. Es wird diese ganze Reihe von Kandidaten geben: Tom Cotton, Josh Hawley, Marco Rubio, Ted Cruz, Mike Pompeo, die Gouverneurin aus South Dakota, Kristi Noem, sie alle werden diese Agenda übernehmen. Ich glaube nicht, dass sie mit einer Bush- oder Romney-Agenda antreten werden. In der Aussenpolitik werden sie die nationalistische Linie «Amerika zuerst» fahren. Sie werden sich für einen schlankeren Staat und Deregulierung einsetzen, aber sie werden nicht den republikanischen Wirtschaftskram machen oder die Sozialversicherung privatisieren.

Weltwoche: Staatliche Gerichte und der Oberste Gerichtshof lehnten Trumps Beschwerden wegen Wahlbetrugs ab. Millionen Amerikaner, gemäss Umfragen sogar 70 Prozent der Republikaner, glauben dennoch nicht, dass die Wahlen frei und fair waren.

Hanson: Diese Einstellung hat die Republikaner die Senatswahl in Georgia gekostet. Viele der Wähler, die für die republikanischen Kandidaten David Perdue und Kelly Loeffler gestimmt hätten, sagten: «Meine Stimme zählt nicht, sie werden sie stehlen, egal wie.» Aus einem gewissen Zynismus heraus hatten sie kein Vertrauen mehr in das System. Wer einen Scheck einlösen oder eine Kreditkarte erwerben will, muss eine Identitätskarte oder einen Führerschein vorweisen. Wer jedoch fordert, dass man zur Abgabe seiner Wahlstimme einen Führerschein vorweisen sollte, wird als Rassist bezeichnet. Ich glaube, Trumps Wähler sind verwirrt. Sie wissen nicht mehr, wie sie mit der Linken umgehen sollen. Die Linke hat so viel Geld. Sie haben 2,5 Mal mehr Wahlkampfgelder ausgegeben als Trump. Sie haben Facebook, sie haben Google, sie haben Harvard, sie haben Yale, sie haben die New York Times. Es ist nicht so, dass das ganze Spendengeld von armen Leuten kommt. Es sind reiche, mächtige Leute, die kosmopolitisch sind. Es ist beängstigend, Leute wie Mark Zuckerberg zu sehen, wie sie mit Levi’s und alten T-Shirts herumlaufen und 350 Millionen Dollar ausgeben, um einen öffentlichen Beamten in den Wahlbezirken zu unterstützen, der überall Wahlurnen aufstellt.

Weltwoche: Was geschieht mit den Bürgern, die ihr Vertrauen in faire Wahlen verloren haben?

Hanson: Sie sind sehr wütend, und niemand weiss, was sie nun tun werden, ausser dass sie sich jetzt wegen der Krawalle schuldig fühlen sollen. Ich glaube, sie fühlen sich wirklich schrecklich deswegen. Hört man die Talk-Radios, spürt man ihre Wut. Ich glaube nicht, dass sie aufgeben werden, ich glaube, sie werden zurückkommen.

Weltwoche: Wie gross schätzen Sie das Potenzial für einen Bürgerkrieg ein?

Hanson: Dieses Land hat immer Wege gefunden, Bürgerkriege zu vermeiden. Bürgerkriege müssen eine geografische Komponente haben. Der Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 war ein Krieg Nord gegen Süd. In unserem föderalen System ist es so: Wenn man in einem demokratischen Blue State gefangen ist, geht man in einen republikanischen Red State. Nicht umgekehrt. Menschen in roten Staaten gehen nicht in blaue Staaten. Kalifornien verliert jede Woche Tausende Bürger an Texas und Florida und Nevada. Wenn die Leute wütend werden, ziehen sie um. Ich weiss nicht, wohin das langfristig führt. Möglicherweise schaffen wir ein Land, das sich tief in rote und blaue Staaten spaltet. Wer sich nicht mehr verträgt, trennt sich. Das ist auch in Familien so. Ich habe einen Zwillingsbruder, der nicht mehr mit mir spricht – er ist ein sehr ausgeprägter Biden-Linker. Er ist der Meinung, Trump-Anhänger sollten geächtet werden.

Weltwoche: Kann der designierte Präsident Joe Biden die Nation heilen, wie er es verspricht?

Hanson: Nein. Er will nicht. Er ist ein Gefangener seiner Koalition. Die Demokraten haben ihn instrumentalisiert und ihm ein moderates Mäntelchen umgehängt, damit sie eine radikal-linke Botschaft durchdrücken können. Er hat mitgespielt. Jetzt, wo er Präsident ist, sind die Schuldscheine fällig. Wenn man seine Rede im Fernsehen nach dem Sturm auf das Kapitol anschaut, seine Rede über Rassismus, stellt man all die Symptome von jemandem fest, der nicht ganz bei der Sache ist. Er war wütend. Er hat Leute als Schläger bezeichnet. Er sagte, die Trump-Unterstützer seien Rassisten. Biden war immer eine polarisierende Figur. Er fängt Streit mit Leuten an. Er erzählt all diese Geschichten darüber, wie er Leute verprügelt hat. Er ist keine sehr sympathische Figur. Er wird niemanden heilen. Dazu ist er nicht fähig.

Weltwoche: Als letzten Sommer in vielen US-Städten Proteste ausbrachen, Geschäfte geplündert und Polizisten angegriffen wurden, hielten sich die Demokraten mit Kritik an der Gewalt zurück. Nach dem Sturm auf das Kapitol schiessen sie aus allen Rohren gegen Trump. Die Leute haben den Eindruck, dass hier mit zweierlei Mass gemessen wird. Liegen sie falsch?

Hanson: Die Medien fangen an, ein bisschen nervös zu werden. Bereits unter Obama waren sie extrem voreingenommen. Obama war charismatisch und glatt. Wenn sie ihn nicht kritisiert haben, konnten sie damit durchkommen. Biden ist korrupt. Sein Sohn Hunter Biden verschickte E-Mails, die suggerieren, Vater Biden sei der big guy [der an den Geschäften des Sohnes mitverdient hat, Red.]. Wenn ein Journalist eine Frage dazu stellt, wird er wütend. Wenn er einen Aussetzer hat, wenn er nicht mehr weiss, wo er gerade ist, spielen die Journalisten die Scharade mit. Sie sehen lächerlich aus dabei, und sie wissen es. Ich denke, dass es in einem oder zwei Jahren eine grosse Gegenreaktion im Land geben wird. Ich kann mich irren, aber es war so unter Obama. 2010 erlitt er die grösste Abfuhr im Repräsentantenhaus, die ein Präsident je erlebt hat. Er verlor 66 Sitze.

Weltwoche: Die Aussicht auf die Zwischenwahlen 2022 könnte die Demokraten von einer zu radikalen Politik abhalten. Denn sie wissen, dass in zwei Jahren die Quittung folgen könnte. Scheint Ihnen diese Perspektive plausibel?

Hanson: Wenn sie vernünftig wären, würden sie sich sagen: «Wir haben bloss eine Mehrheit von fünf Stimmen im Repräsentantenhaus, und im Senat ist ein Patt. Und wir haben einen 78-jährigen Präsidenten. Also sollten wir besser sehr vorsichtig sein.» Aber so denken sie nicht. Sie denken genau das Gegenteil: «Wir haben nur diese eine Chance, und wir holen besser alles raus, was wir können, und demütigen diese Leute.» Sie wollen sich nicht mit den Republikanern versöhnen. Sie wollen sie besiegen. Die Linken wollen sich nie versöhnen. Ich glaube, die Europäer haben immer gedacht, dass ihre Linke viel radikaler sei als unsere Linke. Dem ist nicht so. Unsere Linke ist viel radikaler als jene in Frankreich oder in Deutschland. Es sind wütende, zornige Menschen. Ich habe mit ihnen schon an der Universität zu tun gehabt. Europa mochte Trump nicht. Ich denke, Biden wird sie noch sehr überraschen. Die Leute um ihn reden viel über Verbündete und dies und das, aber ich glaube nicht, dass sie irgendetwas für irgendjemanden tun werden. Es sind sehr gefährliche Leute.