Nebelspalter, Alex Reichmuth, 9. Januar 2023
Ein weisses Band aus Kunstschnee, das sich durch grün-braune Matten zieht: Das sahen die Zuschauer der Ski-Weltcup-Rennen in Adelboden am vergangenen Wochenende. Das gleiche Bild wie am Chuenisbärgli zeigt sich derzeit im ganzen Alpenraum: Zumindest in tiefen Lagen ist von natürlichem Schnee keine Spur.
Die aktuell prekären Verhältnisse für den Skisport sind Topthema in den Medien. Zur Berichterstattung gehört meist der Hinweis, dass die Schweiz in den nächsten Jahren mit noch mehr warmen Winter rechnen müsse – wegen des Klimawandels.
Allerdings sind die Temperaturen seit etwa 2015 global nicht weiter gestiegen, nachdem sie zuvor einige Jahre stark in die Höhe gegangen waren. Und es ist sehr gut möglich, dass es in Europa auch in den kommenden 20 Jahren nicht wärmer, sondern sogar leicht kühler wird – nicht nur im Winter. Das ist zumindest das Resultat einer Studie unter Beteiligung von Forschern aus Norwegen, Deutschland, Italien und den USA. Die Arbeit ist im Fachblatt «Climate and Atmospheric Science» erschienen, das zur renommierten «Nature»-Gruppe gehört (siehe hier).
Was wichtig ist:
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In den Alpen herrscht in tieferen Lagen absoluter Schneemangel, für den der Klimawandel verantwortlich gemacht wird.
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Ein aktuelle Studie kommt aber zum Schluss, dass die Temperaturen in Europa in den nächsten 20 Jahren sinken könnten – nicht nur im Winter.
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Ursache dafür ist eine zyklische Strömung über dem Nordatlantik, die jetzt wieder in eine absteigende Phase kommt.
Jetzt kommt eine absteigende Phase der Atlantischen Oszillation
Die Autoren untersuchten den Einfluss der sogenannten Atlantischen Multidekaden-Oszillation (AMO) auf die Temperaturentwicklung im nordatlantischen Raum. Bei der AMO handelt es sich um eine zyklisch autretende Zirkulationsschwankung der Ozeanströmungen im nördlichen Atlantik, welche die Oberflächentemperaturen auf der Nordhemisphäre und damit auch in Europa massgeblich beeinflusst.
Die AMO hat eine Periodendauer von 50 bis 70 Jahren. Sie ist noch wenig erforscht. Über ihre Ursachen herrscht weitgehend Unklarheit.
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Zyklische Erwärmung- und Abkühlungsphasen wechseln sich ab. Quelle: Bjerknes Centre for Climate Research*
Doch während sich die AMO zwischen den 1980er- und den Nuller-Jahren in einer aufsteigenden Phase befand, die zu steigenden Temperaturen führte, ist in den nächsten zwei Jahrzehnten mit einer absteigenden Phase zu rechnen, die eine Abkühlung im Nordatlantik zur Folge haben dürfte. Deshalb könnten auch die globalen Temperaturen in dieser Zeit stagnieren oder sogar leicht zurückgehen. Eine ähnlich absteigende Phase der AMO gab es schon zwischen 1950 und 1970, als sich die Welt leicht abkühlte.
«Der gegenwärtige und vorhergesagte Temperaturstillstand verschafft Zeit»
Das norwegische Bjerknes Centre for Climate Research, an dem Leitautor Nour-Eddine Omrani arbeitet, machte auf der Wissenschaftsplattform «phys.org» darauf aufmerksam, dass die Studie den menschengemachte Klimawandel nicht in Frage stelle. «Ein reduzierter Temperaturanstieg in den kommenden Jahren bedeutet nicht, dass sich die globale Erwärmung verlangsamt hat», war zu lesen (siehe hier). Die Temperaturen würden deshalb auch nicht mehr auf das Niveau von 1950 bis 1970 zurückfallen.
Dennoch: Wenn der Temperaturanstieg der letzten Jahrzehnte durch die AMO verstärkt worden ist, könnte das bedeuten, dass die Treibhausgase selbst die Erde weniger schnell erwärmen als gemeinhin angenommen. Das würde das Problem des Klimawandels deutlich entschärfen. «Der gegenwärtige und vorhergesagte Temperaturstillstand verschafft Zeit, um technische, politische und wirtschaftliche Lösungen zu erarbeiten, bevor die nächste Erwärmungsphase kommt», wird Omrani zitiert. Stark steigen würden die Temperaturen demnach erst wieder ab 2050.
Bis jetzt kein Thema in den Medien
Allgemein ist aber der Einfluss von zyklischen Zirkulationsschwankungen wie der AMO auf die globalen Temperaturen noch wenig untersucht und entsprechend kaum verstanden. Entsprechend sei bei den Klimamodellen, auf die sich etwa der Weltklimarat abstützt, Vorsicht angezeigt, schreibt der deutsche Umweltwissenschaftler Fritz Vahrenholt in seinem Blog. «Modelle, die die natürlichen zyklischen Einflüsse nicht berücksichtigen – und das können die Modelle noch nicht – kommen so zu viel zu starken Erwärmungsprognosen.» (siehe hier)
Jedenfalls: Die erwähnte «Nature»-Studie ist bis jetzt kein Thema in den Medien, obwohl sie von seriösen Wissenschaftlern verfasst worden ist. «Erstaunlich ist, dass bislang nicht eine einzige deutsche Tageszeitung über diese Mut machende Botschaft berichtet hat», so Vahrenholt. Es scheint, dass «Good News» in Sachen Klimawandel in der Berichterstattung keinen Platz finden.
«Auch die alten Chroniken wissen von milden Wintern zu erzählen»
Anfangs Februar 1920 war im «Urner Wochenblatt» Folgendes zu lesen:
«Ein so milder Januar wie der verflossene ist schon lange nicht mehr erlebt worden. Am 13. des genannten Monats zeigte der Thermometer nachmittags in Altdorf an der Sonne sogar 25 Grad Wärme und im Schatten 15 Grad über Null. Es ist solches zwar nicht neu, denn auch die alten Chroniken wissen von milden Wintern zu erzählen. Im Jahre 1087 war ein so milder Winter, dass man im Mai ernten konnte und im August Weinlese war. Im Jahre 1172 war der Winter so warm, dass die Bäume sich mit Laub bedeckten, schon Ende Januar die Vögel nisteten und im Februar Junge hatten.
1204 herrschte sogar von Ende Januar bis in den Mai hinein eine ununterbrochene Trockenheit und eine brennende Hitze wie im Sommer. Die Früchte missrieten, Hungersnot und Elend waren die Folgen. Im Jahre 1420 waren Winter und Frühling so gelinde, dass im März die Bäume verblüht hatten und man im April schon reife Kirschen pflückte. 1572 schlugen im Januar die Bäume aus und brüteten im Februar die Vögel, und 1585 stand am Ostertag das Korn in Ähren.
1622 war der Februar so warm, dass man selbst im Norden Deutschlands die Öfen nicht heizte und alle Bäume in Blüte standen. Der Winter von 1822 war in ganz Europa mild. In Russland umfasste er eigentlich nur einen Monat und etliche Tage, und selbst im gefürchteten Sibirien wurde er nur wenig empfunden. Im letzten halben Jahrhundert, d.h. von Beginn der 1860er Jahre bis heute, zählt man im ganzen an die zwanzig solcher milder bis sehr milder Winter. Und zwar zeigt die Statistik unzweideutig das gruppenweise Auftreten der merkwürdigen Erscheinung.»