Niemand will etwas Falsches sagen, also kramen alle nach Regeln, die Halt geben. Ein kleines Gedankenexperiment zeigt, wohin das führen kann.
Felix E. Müller 20.08.2020, 14.30 Uhr
Vorsicht, Falle: Wer «schwarz» als Adjektiv verwendet, hat schon verloren.
Kürzlich bin ich auf die Zukunft des Journalismus gestossen. Sie versteckt sich in einer Fussnote. Und sie ist nicht erfreulich.
Auf die Fussnote stösst, wer das Urteil der Ombudsstelle SRG über die «Arena»-Sendung vom 12. Juni ganz zu Ende liest, die unter dem Titel «Jetzt reden wir Schwarzen» den Rassismus in der Schweiz thematisieren wollte. Dass die Sendung völlig missglückt war, ist mittlerweile eine unbestrittene Tatsache. Die Ombudsstelle produzierte also keine Überraschung, als auch sie den Daumen über Moderator Sandro Brotz senkte.
Erst im Kleingedruckten wird die Sache spannend, heisst es da doch: «Sowohl die Redaktion der ‹Arena› als auch die Ombudsstelle verwenden im Schlussbericht nach Rücksprache mit der Eidgenössischen Kommission gegen Rassismus (EKR) die Begriffe ‹schwarze Menschen› bzw. als Personengruppe ‹Schwarze› sowie ‹Rassismus gegenüber Schwarzen›. Die Geschäftsstelle der SRG Deutschschweiz behält sich vor, in Anlehnung an das Glossar für diskriminierungssensible Sprache von Amnesty International, die Schreibweise ‹Schwarze Menschen› zu verwenden.»
Auch sprachsensiblen Menschen enthüllt sich die Bedeutung dieser Sätze nicht auf den ersten Blick, ausser der Tatsache, dass man sich für die Verwendung des Wortes «schwarz» einen Persilschein eingeholt hat. Die SRG hat folglich um Formulierungshilfen von externen Stellen nachgesucht und diese bei einer staatlichen Fachkommission gefunden, die sich wiederum auf eine grosse Nichtregierungsorganisation abstützt.
Diskriminierungsfreies Schreiben, nicht leicht gemacht
Man kann dies sogar ein Stück weit verstehen, weil die SRG nach der «Arena»-Pleite unbedingt einen zweiten Shitstorm wegen einer verfehlten Wortwahl oder einer missglückten Formulierung vermeiden wollte. Doch wie wäre es, wenn das Beispiel Schule machen würde?
Stellen wir uns vor, ein Journalist möchte einen Artikel verfassen, dessen Thema die erstmalige Wahl eines Nicht-Weissen in die Regierung des Kantons Appenzell ist. Er freut sich darüber und tippt ganz unbeschwert in seinen Computer: «Am Sonntag wurde X. Y. in die Regierung des Kantons Appenzell Innerrhoden gewählt. Damit nimmt überraschend erstmals ein farbiger Politiker Einsitz in der bisher ausschliesslich aus weissen Politikern zusammengesetzten Regierung des konservativen Halbkantons.»
Doch dann hört er vom Glossar für diskriminierungssensible Sprache von Amnesty International, schlägt nach und stösst auf den Eintrag: «Farbige/farbig ist ein kolonialistischer Begriff und negativ konnotiert.» Er will kein Kolonialist sein und ändert deshalb seinen Einstieg, der nun lautet: «Am Sonntag wurde X. Y. in die Regierung des Kantons Appenzell Innerrhoden gewählt. Damit nimmt überraschend erstmals ein schwarzer Politiker Einsitz in der bisher ausschliesslich aus weissen Politikern zusammengesetzten Regierung des konservativen Halbkantons.»
Jetzt ist sein Interesse am diskriminierungssensiblen Schreiben erwacht, und so liest er weiter, dass man das Adjektiv schwarz nicht verwenden sollte. «Es geht nicht um ‹biologische› Eigenschaften, sondern gesellschaftspolitische Zugehörigkeiten.» Schwarzsein sei «keine reelle Hautfarbe, sondern eine politische und soziale Konstruktion». Um das zu verdeutlichen, fordert das Glossar dazu auf, die Zuschreibung «Schwarz» konsequent gross zu schreiben. Dies tut die Geschäftsstelle der SRG offenbar in Zukunft.
Diese neue Einsicht fliesst in den geplanten Artikel ein: «Am Sonntag wurde X. Y. in die Regierung des Kantons Appenzell Innerrhoden gewählt. Damit nimmt überraschend erstmals ein Schwarzer Politiker Einsitz in der bisher ausschliesslich aus weissen Politikern zusammengesetzten Regierung des konservativen Halbkantons.»
Allerdings findet es der Autor dann merkwürdig, dass jetzt «Schwarz» mit einer Majuskel dasteht und «weiss» mit einer Minuskel. Das Glossar hilft auch da weiter: Man könnte zwar auch «Weiss» gross schreiben, doch besser wäre die Verwendung als Adjektiv, allerdings immer kursiv verwendet.
Weisse, so lernen wir, sind von ihrer Hautfarbe geprägt
Warum? Es handle sich auch da um ein politisches und soziales Konstrukt: Wer weiss ist, der sei durch sein Weisssein geprägt, also durch die «dominante und privilegierte Position innerhalb des Machtverhältnisses Rassismus, die sonst zumeist unausgesprochen und unbenannt bleibt. Weisssein umfasst ein unbewusstes Selbst- und Identitätskonzept, das weisse Menschen in ihrer Selbstsicht und ihrem Verhalten prägt und sie an einen privilegierten Platz in der Gesellschaft verweist.»
So viel versteht der Artikelverfasser im Appenzellischen: Es geht beim Rassismus eigentlich weniger um die ethnische Herkunft als um oben und unten. Diejenigen, die unten sind, sind immer Schwarz, egal woher sie kommen. Oben dagegen sind stets weisse Menschen. Das Wort «weiss» darf – im Gegensatz zu «Schwarz» – in diesem Fall vermutlich seinen adjektivischen Charakter behalten, weil es um die Privilegierten geht, so dass man eben doch auf die Hautfarbe anspielen soll.
Erneut formuliert der Journalist also um: «Am Sonntag wurde X. Y. in die Regierung des Kantons Appenzell Innerrhoden gewählt. Damit nimmt überraschend erstmals ein Schwarzer Politiker Einsitz in der bisher ausschliesslich aus weissen Politikern zusammengesetzten Regierung des konservativen Halbkantons.»
Doch beim Lesen seiner Einstiegspassage steigen in ihm nun Zweifel auf. Wenn «Schwarz» ein soziales Konstrukt darstellt, das auf keinen Fall auf biologische Eigenschaften verweisen soll, würden die Leserinnen und Leser am Ende ja gar nicht mehr verstehen, was eigentlich der Auslöser für seinen Beitrag ist: dass tatsächlich ein Politiker mit einer Abstammung zum Beispiel aus Nigeria neu der Innerrhoder Kantonsregierung angehört.
Zum Glück wartet das Glossar auch an diesem Punkt mit einem Vorschlag auf: Statt «Schwarz» zu verwenden, könne man auf den Begriff «People of Color / Menschen of Color» ausweichen. Es handle sich dabei um «eine internationale Selbstbezeichnung von/für Menschen mit Rassismuserfahrungen. Der Begriff markiert eine politische gesellschaftliche Position und versteht sich als emanzipatorisch und solidarisch. Er positioniert sich gegen . . . diskriminierende Fremdbezeichnungen durch die weisse Mehrheitsgesellschaft.»
Die Schwarzen Menschen möchten also lieber «People of Color» genannt werden, weil die weissen Menschen primär den Ausdruck «Schwarz» gebrauchen. Noch einmal greift der Schreiber in die Tasten: «Am Sonntag wurde X. Y. in die Regierung des Kantons Appenzell Innerrhoden gewählt. Damit nimmt überraschend erstmals ein Mensch-of-Color-Politiker Einsitz in der bisher ausschliesslich aus weissen Politikern zusammengesetzten Regierung des konservativen Halbkantons.»
Geschafft – die SRG hat ihn verdienstvollerweise auf den richtigen Weg geführt! Doch beim Überfliegen seiner letzten Textvariante gerät er nochmals ins Grübeln: Da er ja als weisser Journalist durch sein Weisssein geprägt ist, sitzt er selbst gesellschaftspolitisch oben und blickt deswegen unvermeidlich mit rassistischem Blick auf die Menschen of Color hinab.
Verfügt er deswegen überhaupt über die Voraussetzungen, einen Artikel zu verfassen, in dem es um das Verhältnis von Schwarzen Menschen zur weissen Mehrheit geht? Ist am Ende seine Freude darüber, dass mit X. Y. erstmals ein Mensch-of-Color-Politiker in die Regierung von Innerrhoden gewählt wurde, nicht auch ein Ausdruck eines unbewussten Rassismus und eines fehlenden Bewusstseins davon, dass er von «einem privilegierten Platz in der Gesellschaft» aus schreibt und urteilt?
So gesehen sind weisse Menschen strukturell gesehen immer Rassisten und können deswegen nie selbst Opfer von Diskriminierungserfahrungen werden. An diesem Punkt angelangt, drückt der Journalist die Delete-Taste. Das Studium des Glossars von Amnesty International, an dem sich auch die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus (EKR) orientiert, hat ihn zur Einsicht gebracht, in welche Schwierigkeiten ihn sein Weisssein beim Schreiben über Rassismus stürzt.
Bitte wenden Sie sich an die Formulierungsberatung
Umso verdienstvoller erscheint es deswegen, dass die Redaktion der «Arena» und die Ombudsstelle SRG mit der Anrufung der EKR eine Lösung aufgezeigt haben. Offenbar ist diese Kommission bereit, Journalisten beim Schreiben zu beraten und allenfalls deren Texte zu redigieren. Müsste man dieses Angebot nicht ausbauen? Bald werden die Medien ja vom Bund subventioniert. Könnte dann nicht das Bakom die Aufgabe übernehmen, Artikel oder «Arena»-Sendungen im thematischen Umfeld von Rassismus hinsichtlich Wortwahl und Sprachgebrauch zu unterstützen?
Hinter dem Glossar von Amnesty International wie den Stellungnahmen der EKR steckt die Absicht, das Denken der Leserinnen und Zuschauer im guten Sinn zu beeinflussen. Wie das geschehen kann, hat jüngst die deutsche Sprachforscherin Elisabeth Wehling aufgezeigt, etwa im – gemeinsam mit dem Linguisten George Lakoff geschriebenen – Buch «Politische Sprache und ihre heimliche Macht».
Zentral ist für sie der Begriff Framing, der meint, dass mit der Wahl eines Begriffs für einen Konflikt bereits ein Rahmen abgesteckt wird, innerhalb dessen über diesen Konflikt diskutiert wird. «War on terror» ist ein schönes Beispiel, von der politischen Linken heftig kritisiert. Doch auch «Steueroase» zählt dazu, was Rechte beklagen, weil das Wort unweigerlich mit dem Eindruck von etwas Illegalem verknüpft ist.
Sprache ist immer mit Deutung verbunden. Eine politische Debatte ergibt sich häufig aus der Frage, welche Deutung sich im Alltag durchsetze, mit entsprechenden politischen Konsequenzen. Doch wenn ein mediales Grossunternehmen wie die SRG beginnt, Formulierungsberatungen bei staatlichen Stellen einzuholen, die dann zwischen richtigen und falschen Wortverwendungen unterscheiden, ist der Verweis auf George Orwell unvermeidlich.
Dieser hat mit dem Roman «1984» das Referenzwerk für diese Debatte verfasst: ein Staat, der versucht, durch Sprachmanipulation das Denken der Bevölkerung zu kontrollieren. Vermutlich tat er das unter anderem mit Glossaren, an die sich Journalisten zu halten hatten.