
NZZ, Janos I. Szirtes, 3.3.2025
In seinem Ukraine-Feldzug geht es Putin um Macht und Ideologie, aber auch um die überreichen Bodenschätze. Erst seit Donald Trump die Welt nach wertvollen Rohstoffvorkommen durchscannt, wird vollends klar, dass es auch Russland mit seinem Einmarsch in die Ukraine um deren reichhaltige Bodenschätze zu tun ist. Viele Lagerstätten hat es bereits militärisch erobert.

Auf die überreichen Bodenschätze der Ukraine hatte es schon Hitler abgesehen. – Mine für seltene Erden in der Region Schytomyr.
Dass es im Ukraine-Krieg im Kern auch um die Sicherung bzw. Eroberung von Rohstoffen geht, wurde für die breite Öffentlichkeit erst so richtig sichtbar, als der amerikanische Präsident Trump die weitere militärische Unterstützung Kiews von einem Abkommen abhängig machte, das den USA einen erheblichen Teil dieser Ressourcen sichern würde.
Der Fokus auf die reichen ukrainischen Bodenschätze ist nicht neu, Selenski hatte sie bereits in seinem Siegesplan erwähnt, doch stiess er damit auf wenig Aufmerksamkeit. Dabei aber geht es um die reichhaltigen Vorkommen von Rohstoffen aller Art, aber auch um die Landwirtschaft des Landes, die in Konkurrenz zu jener Russlands steht. Hier wie da verfolgt der Kreml nicht nur ökonomische, sondern auch strategische Ziele. Sie bilden die grundlegende Voraussetzung einer zukünftigen russischen Grossmachtpolitik.
Geschändetes Land
Die Ukraine besitzt mit der Schwarzerde im Donbass den besten Boden in Europa. Die Landwirtschaft machte das Land zu einem grossen Sonnenblumenöl-, Weizen- und Maisexporteur und verschaffte ihm ein erhebliches Gewicht auf dem globalen Markt für Nahrungsmittelrohstoffe. Vor der russischen Aggression rangierte die Ukraine unter den fünf grössten Produzenten weltweit: im Jahre 2021 mit einem Anteil von 50 Prozent an der globalen Produktion von Sonnenblumen, mit 15 Prozent am Mais und 10 Prozent an Weizen. Damit besass die Landwirtschaft einen Anteil von 44 Prozent an den Exporten der gesamte Ukraine und war für 10 Prozent des BIP verantwortlich.
Die Ukraine war für Russland ein gewichtiger Konkurrent. Störend für den Kreml war, dass man dadurch geringere Einflussmöglichkeiten gegenüber der Dritten Welt hatte, denn Handel ist für Moskau stets auch mit politischen Zwecken verbunden. Im Laufe eines Angriffskrieges hat es Russland deshalb nicht versäumt, die ukrainischen Exportkapazitäten durch Bombardierung der Häfen, durch Gefährdung der Seewege, durch die Zerstörung von agrarischer Infrastruktur sowie Vernichtung oder Plünderung von Getreidesilos zu treffen. Hinzu kommen die riesigen Flächen, die man aus Gründen von Kampfaktivitäten und Verminungen nicht nutzen kann. Damit fügte Putin der ukrainischen Landwirtschaft einen Schaden von 80 Milliarden Dollar zu.
Vor dem Krieg besass Kiew 5 Prozent aller weltweiten Vorkommen, und dies bei einer Fläche, die nur 0,4 Prozent umfasst.
An die 16 Millionen Hektaren Land, sprich ein Viertel der von der Landwirtschaft genutzten Fläche, sind betroffen, dies entspricht der gesamten landwirtschaftlich genutzten Fläche Deutschlands. 15 Prozent der Getreidesilos mit einer Kapazität von 75 Millionen Tonnen Lagerumfang sind vernichtet. Systematisch geplündert wurde Getreide im Wert von 1,3 Milliarden Dollar (oder 11,5 Millionen Tonnen, was 28 Prozent des Jahresverbrauchs in Deutschland entspricht).
Die Schäden in der Landwirtschaft sind teilweise bekannt, der Zustand der Rohstoffvorkommen ist es weniger. Dabei kommt diesen sowohl aus europäischer als auch aus weltweiter Sicht hohe Bedeutung zu. Von den rund 20 000 Standorten sind bis jetzt 95 wirtschaftlich bedeutsam. Die Ukraine verfügt über die drittgrössten Gasvorkommen Europas, ein Schatz, der wegen Friktionen bei der Förderung nicht genutzt werden konnte, was zur Folge hatte, dass man Gas importieren musste.
Vor dem Krieg erwirtschaftete das Land mit Rohstoffen 15 Milliarden Dollar, wobei der Gesamtwert der Vorkommen auf 11 bis 12 Billionen Dollar geschätzt wurde. Damit besass Kiew 5 Prozent aller weltweiten Vorkommen, und dies bei einer Fläche, die nur 0,4 Prozent umfasst. Unter den Bodenschätzen befinden sich fast alle industriell verwendbaren Rohstoffe, und zwar in grossen und förderbaren Mengen. Auch seltene Erden gehören dazu, die gar nicht so selten sind, jedoch nur aufwendig, energieintensiv und umweltbelastend gefördert und verarbeitet werden können. Die EU, die in diesem Bereich bis anhin zu 98 Prozent von Importen aus China abhängig ist, versucht mit der Einbindung der Ukraine in den europäischen Rohstoffverbund zu partizipieren, doch das von Trump aggressiv vorgebrachte ausbeuterische Interesse der USA könnte dem einen Strich durch die Rechnung machen.
Die russische Aggression hat die Rohstoffkarte der Ukraine kräftig durcheinandergeworfen. Russland besetzt derzeit folgende Vorkommen: 63 Prozent der Kohle, 42 Prozent der Erze, 50 Prozent der seltenen Erden, 20 Prozent der Gas- und 11 Prozent der Erdölbestände. Militärische Kämpfe um Orte mit grossen Grafit- und Kohlevorkommen wie Kriwi Rih sind derzeit im Gange. Die Standorte liegen zu zwei Dritteln im Osten, auf einem Gebiet, das die Ukraine de facto verloren hat. Kiew ging ursprünglich davon aus, mit Erträgen aus dem Rohstoffhandel die Kriegskredite zurückzahlen zu können, doch ist dies angesichts des Kriegsverlaufs und der territorialen Eroberungen der russischen Armee stark infrage gestellt.
Russland bangt um sein Modell
Der Feldzug gegen die Ukraine hat für Russland einen bedeutenden wirtschaftlichen Aspekt, von dem allerdings verhältnismässig wenig die Rede ist. Mag auch Putin seine grossen strategischen Ziele bisher verfehlt haben, in Bezug auf die ökonomische Bilanz seiner Eroberungen bewegt er sich auf der Siegerstrasse.
In Bezug auf den Westen treibt den Kreml eine Bedrohungsphobie um, die auch mit der völligen Einnahme der Ukraine oder der Umwandlung in einen Vasallenstaat zu keinem Ende käme. Immer wieder wird behauptet, Ursache des Krieges sei für Putin ein möglicher Beitritt der Ukraine zur Nato gewesen, allerdings ist die Grenze zum westlichen Bündnis wegen der «militärischen Sonderoperation» nicht kürzer, sondern durch den Eintritt Finnlands und Schwedens um 4800 Kilometer länger geworden. Durch eine Neutralisierung der Ukraine würden als neue Bedrohung für den Kreml lediglich die Anrainerländer der Ukraine nachrücken, von denen die drei Staaten des Baltikums sowie die Moldau einst Teil der Sowjetunion gewesen waren.
Ziel Moskaus ist es, die Ukraine als Konkurrentin auf dem Rohstoffsektor an den Rand zu drängen oder sich ihre Naturschätze ganz einzuverleiben. Mit der Eroberung eines gewichtigen Teils der ukrainischen Bodenschätze erschliesst sich Russland nicht nur frische Einnahmequellen, sondern schafft auch gewollte neue Abhängigkeitsverhältnisse.
Die zunehmende Abkehr der Welt von der Kohlenstoffwirtschaft zwingt den Kreml zum Handeln. War das russische ökonomische Modell jahrzehntelang auf den Verkauf von Öl und Gas fokussiert, womit der Staat sich und seine Grossmachtrolle finanzierte, wird eine Ausbreitung von grüner Energie dieses Modell gefährden. Die Nachfrage nach den bisherigen Exportschlagern Gas, Öl und Kohle ginge stark zurück, die Preise brächen ein.
Es muss dem Kreml also darum gehen, sich die Kontrolle über für den ökologischen Wandel erforderliche Rohstoffe zu sichern, und gerade diese sind in der Ukraine wie nirgendwo sonst in Europa reichlich und derzeit zum erheblichen Teil schon in russischem Besitz vorhanden. Russland ist mit diesem Hebel auch in der Lage, Europas Entwicklung hin zu sauberen Energien zu verlangsamen oder zu behindern.
Putin verfolgt mit der Aggression gegen die Ukraine keineswegs nur eng gefasste politisch-strategische Ziele, er hat Russlands längerfristige Interessen im Blick. Dabei sollen bestehende Einnahmequellen so weit wie möglich erhalten und neue Wirkungsfelder erschlossen werden, die das bisherige Modell stützen. Zieht man eine Zwischenbilanz von drei Jahren Krieg, zeigt sich, dass die Rechnung für Putin bisher einigermassen aufgegangen sein dürfte.
Allerdings bringen die immer ausgedehnteren westlichen Sanktionen die russischen Öl- und Gasexporte in Bedrängnis, und seit sich unter Donald Trump auch die USA plötzlich brennend für die ukrainischen Bodenschätze interessieren, ist die Lage unübersichtlich geworden. Auch die ukrainische Regierung weiss, dass sie mit ihren natürlichen Ressourcen einen starken politischen Hebel besitzt. Derzeit werden auf diesem Feld die Karten ganz neu gemischt.
Janos I. Szirtes ist Politikwissenschafter und lebt in Budapest.