
Nebelspalter, Pieter Cleppe, 26.07.2025

Anfang dieses Monats legte die Europäische Kommission unter ihrer Präsidentin Ursula von der Leyen einen offiziellen Vorschlag für den neuen langfristigen EU-Haushalt vor, der die EU-Ausgaben für den Zeitraum von 2028 bis 2034 regeln soll.
- Dabei scheint von der Leyen die Grenzen des Machbaren auszutesten.
- Niemand scheint zufrieden zu sein – was Fragen zur Legitimität der Kommissionspräsidentin aufwirft.
Dass kein EU-Mitgliedstaat bereit ist, den Vorschlag in seiner jetzigen Form zu akzeptieren, ist nachvollziehbar. Doch die Idee, dass die europäischen Ausgaben von 1,2 Billionen Euro auf fast 2 Billionen Euro steigen sollen, stösst insbesondere bei den Nettozahlern auf Widerstand – nicht zuletzt, weil von der Leyen die derzeitigen Beitragsrabatte für Länder wie die Niederlande und Deutschland abschaffen möchte.
- Offenbar betrachtet die Kommission ihren Vorschlag nicht als Erhöhung, da sie einfach den de-facto-Zweithaushalt der EU – den 800 Milliarden Euro schweren Corona-Wiederaufbaufonds – dem bestehenden Haushalt hinzufügt.
- Die Niederlande waren 2020 jedoch nur unter der Bedingung bereit, diesem betrugsanfälligen Schattenfonds zuzustimmen, dass es sich um eine einmalige Massnahme handeln würde.
Der reguläre EU-Haushalt wird hauptsächlich durch Beiträge der Mitgliedstaaten finanziert, während der Corona-Wiederaufbaufonds durch Kredite gedeckt wurde, die ab 2028 zurückgezahlt werden müssen.
- Die grosse Frage ist, wie das geschehen soll.
- Länder wie Belgien lehnen es ab, neue Schulden aufzunehmen, um alte zu tilgen – haben aber gleichzeitig kaum finanzielle Spielräume, die alten Kredite aus eigenen Haushalten zu begleichen.
- Daher ist mit erheblichem Druck auf Länder wie die Niederlande und Deutschland zu rechnen, die alten Schulden schlicht durch neue zu ersetzen.
- Das würde bedeuten, dass der Corona-Fonds dauerhaft wird. Langfristig könnte er sogar den regulären Haushalt ersetzen – denn wenn es etwas gibt, das die Eurokraten nicht mögen, dann ist es der offene Kampf ums Geld alle sieben Jahre, wenn eine schwierige Einigung gefunden werden muss.
Immer wieder rückt daher auch die besonders problematische Verwendung europäischer Gelder in den Fokus. Der Europäische Rechnungshof, das Finanzkontrollorgan der EU, kritisiert seit Jahren heftig, wie die EU mit Geld umgeht – insbesondere angesichts des jüngsten Anstiegs missbräuchlich verwendeter Mittel.
- 2024 beklagte das Gremium, dass 15 Milliarden Euro aus Kohäsionsfonds aufgrund von Versäumnissen sowohl der Europäischen Kommission als auch der Mitgliedstaaten missbraucht wurden.
- Missbrauch ist das eine – Korruption und Betrug sind etwas anderes. 2021 warnte Professor Vince Musacchio, ein renommierter Anti-Korruptionsexperte am Rutgers Institute, dass «zwischen 2015 und 2020 etwa 70 Milliarden Euro an Struktur- und Investitionsmitteln an Italien vergeben wurden. Die Hälfte dieser Gelder landete in den Händen der organisierten Kriminalität».
Die Kommission scheint darüber nicht allzu besorgt. Eines fehlt in ihrem Vorschlag auffallend stark: ein ernsthafter Plan, um zu verhindern, dass jährlich bis zu eine Milliarde Euro an EU-Geldern von Betrügern abgeschöpft wird.
- Ein EU-Beamter bringt es gegenüber «Euractiv» auf den Punkt: «Wenn wir von den Bürgern Haushaltsdisziplin verlangen wollen, sollten wir zuerst zeigen, dass das Geld nicht gestohlen wird».
Mehr Steuerkompetenzen
Bei jeder Gelegenheit versucht die Europäische Kommission, mehr Steuerkompetenzen an sich zu reissen. Dieses Mal will sie 800 der 1.200 Milliarden auf diese Weise finanzieren – unter anderem durch eine EU-Steuer für grosse Unternehmen.
- Deutschland hat den Vorschlag bereits abgelehnt, doch die Kommission dürfte sich damit nicht zufriedengeben.
Ein weiterer Teil des Kommissionsplans besteht darin, Tabakprodukte stärker zu besteuern und einen Teil der Einnahmen dem EU-Haushalt zuzuführen. Schweden hat sich bereits entschieden dagegen ausgesprochen. Die schwedische Finanzministerin Elisabeth Svantesson bezeichnete die Idee als «völlig inakzeptabel».
- Sie wies darauf hin, dass die Kommission nicht nur Tabakprodukte, sondern auch Alternativen zu Tabak ins Visier nehme: «Es scheint, dass der Vorschlag der Europäischen Kommission eine sehr grosse Steuererhöhung auf weissen Snus bedeuten würde, und darüber hinaus will die Kommission die Steuereinnahmen nicht Schweden, sondern der EU zukommen lassen».
Der niederländische EU-Kommissar Wopke Hoekstra ist für die Überarbeitung der EU-Richtlinie über Tabaksteuern zuständig. In einem LinkedIn-Beitrag machte er deutlich, dass er von der Leyens Vorgehen voll unterstützt – insbesondere, was den Umgang mit Tabakalternativen wie Vaping oder Nikotinbeuteln betrifft, auch wenn diese keinen Tabak enthalten.
- Anfang des Jahres sagte er: «Rauchen tötet, Vaping tötet».
- Damit stellte er beides gleich – obwohl das britische Gesundheitsministerium erklärt: «Die besten Schätzungen zeigen, dass E-Zigaretten 95 % weniger schädlich sind als herkömmliche Zigaretten».

Es ist kein Zufall, dass Schweden sich so vehement gegen die Vorschläge der Kommission stellt. Das Land ist der einzige EU-Mitgliedstaat, der von dem EU-Verbot von Snus ausgenommen ist – einer Alternative zum Rauchen. Nach drei Jahrzehnten dieser Ausnahme sind die Ergebnisse für die EU-Politik in diesem Bereich schlicht peinlich:
- Schweden hat nicht nur eine der niedrigsten Raucherquoten in Europa, sondern auch deutlich weniger durch Rauchen verursachte Krankheiten.
- Im Vergleich zu anderen EU-Ländern verzeichnet Schweden 44 % weniger tabakbedingte Todesfälle, 41 % weniger Lungenkrebsfälle und 38 % weniger Krebstote.
Von politischen Entscheidungsträgern, die Menschen wirklich helfen wollen, sich ungesunde Gewohnheiten abzugewöhnen, sollte man erwarten, dass sie weniger schädliche Alternativen zumindest in Erwägung ziehen.Doch die Europäische Kommission kann offenbar ihren paternalistischen Instinkt, alles einfach zu verbieten, nicht unterdrücken. Abgesehen von der offensichtlichen Tatsache, dass noch höhere Steuern die Kaufkraft der Europäer weiter aushöhlen, scheint Kommissar Hoekstra nicht zu verstehen, dass dies auch den Markt für illegale Zigaretten weiter anheizt – eine wichtige Einnahmequelle für das organisierte Verbrechen.
- Im Gegenteil: Er behauptet, dass höhere Tabaksteuern «helfen werden, Betrug, grenzüberschreitenden Handel, gefälschte Produkte und Steuerhinterziehung zu bekämpfen».
- Das ist fast schon lachhaft. Jede ernstzunehmende Studie zeigt das Gegenteil.
- Der Thinktank «EPICENTER» zitiert eine Untersuchung, der zufolge «eine Erhöhung der Verbrauchssteuer um 1 Euro pro Packung mit einem Anstieg des illegalen Marktes um 5 bis 12 Prozent verbunden ist».
Weitere Steuerideen
Von der Leyen & Co wollen zudem eine neue Steuer auf Elektronikschrott sowie Einnahmen aus der neuen europäischen CO₂-Steuer (ETS2) einführen.
- Diese neue Steuer, die 2027 in Kraft treten soll, bedeutet, dass das bestehende ETS-Klimabesteuerungssystem, das die Energie für europäische Unternehmen bereits unerschwinglich gemacht hat, auf Verbraucher ausgeweitet wird.
- Diese müssten dann schätzungsweise 25 % mehr für das Fahren eines Diesel- oder Benzinautos zahlen.
- Durchschnittshaushalte müssten zudem jährlich 700 Euro mehr bezahlen, um ihr Zuhause mit Gas zu heizen.
Dies ist ein besonders aggressiver Angriff auf die Kaufkraft der Bevölkerung – und dennoch gibt es kaum politischen Widerstand. Und nun will die Kommission auch noch einen Teil dieser Einnahmen für sich beanspruchen.
Eine entgleiste Verwaltungskultur
Auch die Art und Weise, wie von der Leyen den Vorschlag ausgearbeitet hat, wirft viele Fragen auf.
- Das Europäische Parlament ist darüber empört – selbst ihre eigene EU-Kommissare wurde erst wenige Stunden vor der Veröffentlichung über die genauen Zahlen informiert.
Die deutsche Kommissionspräsidentin wurde oft für ihren sehr geheimniskrämerischen Stil kritisiert, bei dem sie alles im kleinen Kreis entscheidet.
- Bezeichnend dafür ist das Urteil des EU-Gerichts in Luxemburg im sogenannten «Pfizergate» rund um die Impfstoffverhandlungen im Mai.
- Die Richter entschieden, dass die EU-Kommission Textnachrichten zwischen Ursula von der Leyen und Pfizer-Chef Albert Bourla zu Unrecht zurückgehalten hatte.
- Gegen das Urteil läuft derzeit ein Berufungsverfahren – doch es ist ein weiteres Anzeichen dafür, dass die Verwaltungskultur der EU-Kommission völlig entgleist ist.
Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob wir es als normal ansehen sollten, dass eine supranationale Bürokratie aus eigener Initiative und gegen die öffentliche Meinung sowie die Mitgliedstaaten versucht, ihren ohnehin schon gigantischen Haushalt von 1,2 Billionen auf 2 Billionen Euro zu erhöhen – während sie kaum etwas unternimmt, um betrügerische und fehlerhafte Ausgaben zu bekämpfen. Doch solange die nationalen Regierungen dies von der obersten Eurokratin Ursula von der Leyen akzeptieren, wird sich daran nichts ändern.