Gewaltbereite Extremisten wollen den Staat unterhöhlen – es verbietet sich, über Erschiessungen zu phantasieren
In Deutschland ist die Hälfte der Bevölkerung der Ansicht, dass der Kapitalismus mehr schade als nütze. In diese Kerbe hauen Formulierungen von Politikern wie «Reiche erschiessen» oder der erneut offen geäusserte Zweifel an der DDR als «Unrechtsstaat». Die Linke müsste endlich anerkennen, dass der Kommunismus eine Gewaltherrschaft war.
NZZ, Zsuzsa Breier 01.04.2020, 05.30 Uhr
Es liegt kaum einige Jahrzehnte zurück, dass die SED im Namen des sozialistischen Friedens Erschiessungen und Arbeitslager praktizierte.
Heiterkeit war im Raum an der Strategiekonferenz der Linkspartei Anfang März in Kassel, als eine Rednerin für den Ökosozialismus warb: «Energiewende ist auch nötig nach ’ner Revolution. Und auch wenn wir det eine Prozent der Reichen erschossen haben, ist es immer noch so, dass wir heizen wollen . . . Na ja, ist so!» Der Parteichef Bernd Riexinger sass vorne auf der Bühne, auch er lächelte und fügte dem mit der Reichen-Erschiessung heraufbeschworenen Tableau kommunistischer Gewaltherrschaft spontan noch ein Motiv hinzu: «Ich wollte noch sagen, wir erschiessen sie nicht, wir setzen sie schon für nützliche Arbeit ein.» Beifall im Saal.
Erschiessungen und Arbeitslager stehen nicht im Programm der Linken, zum realen Kommunismus gehörten sie aber wie die Sohle zum Schuh. Und genau das wird von den Linken abgestritten. Dabei war die Utopie der klassenlosen Gesellschaft bereits von ihrem Hausphilosophen Karl Marx als «Diktatur des Proletariats», als «revolutionärer Terror» apostrophiert worden. Und es war nicht erst Stalin, sondern bereits der linke Revolutionsführer Lenin, der Massenmorde, Hinrichtungen und Deportationen beauftragte. Reiche und politisch Andersdenkende standen der Utopie – vor allem aber den neuen Machthabern – im Weg, sie wurden ermordet.
Erschiessungs- und Arbeitslager-Phantasien aus dem Munde der SED-Nachfolgepartei müssten nicht nur angesichts der weltweit 100 Millionen kommunistischen Gewaltopfer ein No-Go sein. Es liegt kaum einige Jahrzehnte zurück, dass die SED Erschiessungen und Arbeitslager nicht nur phantasierte, sondern auch praktizierte: «Zögern Sie nicht mit der Anwendung der Schusswaffe, auch dann nicht, wenn die Grenzdurchbrüche mit Frauen und Kindern erfolgen, was sich die Verräter schon oft zunutze gemacht haben», hiess es in einer DDR-Dienstanweisung.
«Ironie» und «Fehler»?
Immer wieder behauptet Die Linke, sie habe sich von solchen Verbrechen distanziert, das Wort «kommunistisches Verbrechen» kommt ihr dabei aber niemals über die Lippen. Als Reaktion auf Riexingers «Ironie» und «Fehler» hat sich die Linke-Co-Vorsitzende Katja Kipping erneut entschuldigt, sie sagte: «Ich bitte alle, die unter der Mauer gelitten haben, um Entschuldigung.» War das wirklich alles? Allgemeines «Leid»? Als der Deutsche Bundestag vor kurzem ein Mahnmal für die Opfer kommunistischer Gewaltherrschaft beschloss, stimmte die Linkspartei gegen die Vorlage. Bemerkenswert übrigens: Grüne und AfD enthielten sich.
Entlarvend ist auch der Eiertanz des als «bürgerlich» gelobten Ministerpräsidenten von Thüringen, Bodo Ramelow: Als «Unrechtsstaat» will er die DDR nicht bezeichnen, «für einen Rechtsstaat» halte er sie aber auch nicht. Wenn es nach ihm geht, gab es in der DDR keinen Schiessbefehl: «Es gibt keinen schriftlichen Befehl zur direkten Tötung», sagt er. Diese Position vertrat schon Erich Honecker: Als Lothar Späth ihn im Februar 1989 «nach dem angeblichen Todesfall an der Mauer» fragte, antwortete Honecker, er sei «für bestimmte Meldungen in der Bundesrepublik nicht verantwortlich», es gebe keinen Schiessbefehl an der Mauer. Da war der 20-jährige Chris Gueffroy schon seit drei Wochen tot, und Honecker wusste genau, dass er erschossen wurde, denn der Stasi-Chef Mielke hatte ihn persönlich informiert: «Lieber Erich . . . am 5. Februar 1989, 23.40 Uhr, wurden im Sicherungsabschnitt der Grenztruppen der DDR Berlin-Treptow (. . .) von den Grenzposten gezielte Schüsse auf die Grenzverletzer (21 Schuss) abgegeben. Beide Personen wurden verletzt festgenommen . . . Auf dem Transport in das Krankenhaus verstarb der Gueffroy . . . Mit sozialistischem Gruss, Erich Mielke.»
Das Wissen um die 327 Mauertoten sollte heute allgemeines demokratisches Bildungsgut sein. Wie auch die Tatsache, dass es sehr wohl einen Tötungsbefehl gab.
Dass Riexinger der Formulierung, dass Reiche erschossen werden könnten, nicht energisch widersprach, dass Ramelow kommunistische Gewalt verharmlost, sind keine Unfälle. Sie gehören zur Ideologie und Identität der Linkspartei, die historisch aus der totalitären SED hervorgegangen ist und sich von diesem Erbe bis heute nicht löst. Wie denn auch: Würde sie anerkennen, dass der Kommunismus von der ersten Stunde an Gewaltherrschaft war, dass Lenin das Fundament für eine Tyrannei legte – «Wir versprechen weder Freiheit noch Demokratie», sagte er –, dass Trotzki mit «Eisen und Blut» regierte, müsste sich Die Linke vom Kern ihrer Ideologie und von ihrer Raison d’être verabschieden.
Ihr Kern aber bleibt der Klassenkampf. Das Linke-Programm liest sich wie eine einzige Anklageschrift gegen «Reiche», «Superreiche», «Unternehmen», «Konzerne», «Finanzinvestoren» – ihnen wird «der Kampf angesagt». Die Bekämpfung der Reichen ist nicht die Erfindung jener Rednerin auf der Konferenz, sie ist Programm, wie auch der Antikapitalismus und der Antifaschismus Programm sind. Ausgerechnet diese linken Kampflosungen, beide von der SED geerbt, erleben heute ein Revival.
In Deutschland, wo die Hälfte der Bevölkerung laut dem Edelman-Trust-Barometer der Ansicht ist, dass der Kapitalismus mehr schadet als nützt, fällt linker Antikapitalismus inzwischen wieder auf fruchtbaren Boden. Auch der andere Kampfbegriff, der Antifaschismus, fruchtet, seitdem Rassismus und Fremdenhass zunehmen, seitdem die aus Hass und Hetze gewachsene AfD immer mehr Anhänger findet und ihr rechtsextremistischer «Flügel» mit Naziparolen und Drohungen Politik macht. Nun breiten sich auch militanter Rechtsextremismus und rechtsextremistische Gewalttaten aus, die Anschläge in Halle und Hanau und der niederträchtige Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschüttern die Gesellschaft.
Die linke Rede vom Antifaschismus
Angesichts der Neuausrichtung auf rechten Mordterror wäre es aber fatal, wenn linkes Gewaltpotenzial und linke Gewalt aus dem Blickfeld gerieten. Der linke Kampfbegriff «Antifaschismus» ist nicht deckungsgleich mit unserem demokratischen, rechtsstaatlichen antitotalitärem Konsens. Der Begriff «Faschismus» ist in der linken Terminologie klar definiert. Der von der SED und in ihrer Tradition von der Partei Die Linke zu bekämpfende Faschismus ist ein Codewort für den Kapitalismus. Nach der marxistischen Lehre folgt der Faschismus nämlich «notwendigerweise» aus dem Kapitalismus. Linker Antifaschismus hat das Ziel, die kapitalistische Wirtschaftsordnung abzuschaffen. Von diesem Wortgebrauch zeugt, dass die SED die Berliner Mauer «antifaschistischen Schutzwall» nannte, wo diese in Wahrheit den DDR-Bürgern den Zugang zum freien, demokratischen, «kapitalistischen» Westen verwehrte.
Auch hier treffen sich übrigens die Ränder: So wie Die Linke den Neoliberalismus verdammt, tut es auch die AfD. Berlins linker Kultursenator twittert mitten in der Corona-Krise: «Wir müssen über neoliberale Ideologie reden und umsteuern. Krankenhäuser (wurden) kaputtgespart . . .» Dass die Linke in Berlin seit 2002 fast ununterbrochen regiert, vergisst er zu erwähnen. Die «neoliberale Ideologie» verdammt auch der rechtsradikale AfD-«Flügel»-Chef Höcke, weil sie «Staaten zu Wurmfortsätzen global agierender Konzerne» mache.
Es war höchste Zeit, dass jüngst Bundesinnenminister Horst Seehofer eine Reichsbürgervereinigung verbot. Gerade in Krisenzeiten ist es ein richtiges Signal, wenn der Staat gegenüber gewaltbereiten «Selbstverwaltern», die sich weigern, die bundesdeutsche Rechtsordnung anzuerkennen, entschlossen auftritt. Auch Linksextremisten, welche die Corona-Krise für militante Agitation nutzen wollen, sind ins Blickfeld der Sicherheitsbehörden gerückt, weil im Internet ein Aufruf zum Aufstand und Plündern und zu Anschlägen auf die Energieversorgung auftauchte mit der Begründung, man wolle einen «revolutionären Beitrag zu den Ausbrüchen von Wut, Ärger, Protesten, Plünderungen und Unruhen» leisten.
Gewaltnarrative in jeder Form, getarnte Slogans wie etwa jener, der verspricht, «Miethaie zu Fischstäbchen» zu verarbeiten, haben in unserer freiheitlichen Ordnung nichts verloren. Zwar ist es vom Wort zur Tat noch ein Weg. Aber wie schnell kann aus Gewaltbereitschaft auch Gewalt werden?
«Du faschistische Drecksau. Häng dich auf!», wurde FDP-Vize Wolfgang Kubicki nach dem unglücklichen Agieren des Thüringer FDP-Politikers Kemmerich aufgefordert, während wütende Antifa-Demos auch mit Brandsätzen vor FDP-Häuser zogen. Und was Die Linke mit der Antifa zu tun hat? Manche ihrer Politiker zogen mit. Die Linke hat nicht nur totalitäre Wurzeln, sie ist auch mit dem Linksextremismus verwoben: Allein in Thüringen werden sieben «offen extremistische Strukturen» innerhalb der Linkspartei vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Linksextremisten streben einen «Systemwechsel» an und weigern sich, unsere Gesellschaftsordnung anzuerkennen. «Klar gibt es bei uns auch radikale Strömungen. Die muss es auch geben», sagt der Parteichef Riexinger dazu.
«Natürlich kann geschossen werden», wurde vor kurzem die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof in einem Tweet zitiert, womit auf Journalisten des Springer-Verlags abgezielt wurde. Eine linke Berliner Studentin fand das «sehr gut». Noch ein Erschiessungsnarrativ.
Vor kurzem wurde Walter Lübcke erschossen. In Hanau und Halle wurden Menschen erschossen. Es verbietet sich, über Erschiessungen zu phantasieren. Die Mitte ist dort, wo es einen antitotalitären Konsens gibt. Wo keine Gewalttat, kein Extremismus, ob von rechts oder von links, ausgeblendet wird.
Zsuzsa Breier ist Kulturwissenschafterin, zuletzt erschienen von ihr zum Jahr 1989 mehrere Blog-Beiträge für das Deutsche Historische Museum.