Faschismus: Die Medien warnen vor ihm – wenn es passt

Achtung, Faschismus!

Lauthals warnen manche Journalisten vor dem Faschismus, als stehe er gerade wieder vor der Tür. Dabei greifen sie selbst auf Argumentationsmuster zurück, die Andersdenkende pathologisieren.

NZZ, René Zeyer 14.12.2019, 05.30 Uhr

Droht in der Welt ein neuer Faschismus? «Ja», lässt der ehemalige Chefredaktor des «Tages-Anzeigers» Res Strehle einen emeritierten Professor für Geschichte in Zürich hauchen. «Es ist gefährlich», fügt dieser beinahe unhörbar an. Ein konspiratives Gespräch progressiver Akteure in den finstersten Zeiten des letzten Jahrhunderts? Ach was, die Szene leitet einen Artikel von 2017 ein.

Dann verwendet Res Strehle eine auf Umberto Eco zurückgehende angebliche «Identifikation von 14 urfaschistischen Sprachmustern». Diese suchte und fand er in einer «Analyse» von 17 «rechten und konservativen Parteien». Darunter die NPD, die AfD, die FPÖ und aus der Schweiz die Pnos und natürlich die SVP. Sie erfülle immerhin 7 der 14 urfaschistischen Sprachmuster, behauptet Strehle so beleg- wie überraschungsfrei, darunter beispielsweise «krudes Vokabular und Syntax», wie Strehle syntaktisch nicht ganz sattelfest schreibt, oder die SVP sei «gegen unabhängige Gerichte».

Da darf die Framing-Spezialistin Elisabeth Wehling nicht fehlen: «Vieles, was Trump oder Bannon sagen, speist sich aus dem Framing des Faschismus.» Hier ist alles beieinander, was die Verwendung der Faschismuskeule als Allzweckwaffe in der veröffentlichten Meinung zur Stigmatisierung von unerwünschten Meinungen und Parteien so wirksam macht. Angefangen bei einer pseudowissenschaftlichen «Analyse», die nur aus Behauptungen besteht.

Das Problem: der Kopf

Es gibt zwar eine durchaus imposante Forschung zum Totalitarismus im 20. Jahrhundert – zu den Merkmalen des Faschismus zählen mitunter der ausgeprägte Führerkult, die Betonung einer homogenen, reinen Gemeinschaft, die vor angeblichen Feinden verteidigt werden muss, ein eigener Überlegenheitsanspruch und eine Praxis der Gewalt. Dabei handelt es sich jedoch um einen politischen Kampfbegriff, der in seiner Bedeutung sehr vage und diffus bleibt. Zugleich ist es besonders in Deutschland, aber nicht nur, ziemlich perfid, wenn man in der Öffentlichkeit einem Menschen, einer Bewegung, einer Partei unterstellt, sie sei faschistisch, faschistoid oder verwende Begriffe, Definitionen, Vorgehensweisen, wie sie damals im Schwange gewesen seien.

Manche Bilder lassen sich kaum «framen»: Schwimmwesten auf der griechischen Insel Lesbos.

Santi Palacios / AP

Es gab Versuche, Elemente der faschistischen Weltsicht wie die Rassenkunde wissenschaftlich zu untermauern. Ärzte wollten herausfinden, wie man die Zugehörigkeit zur überlegenen arischen Rasse feststellen könne. Neben Eigenschaften wie blonden Haaren und blauen Augen, denen nun aber die meisten Führungsfiguren der Nazis nicht wirklich entsprachen, spielte auch die Kopfvermessung eine grosse Rolle. Kraniometrie hiess diese Pseudowissenschaft, weil man mit einem sogenannten Tasterzirkel die Gesichtspartien ausmass, um rassisch reine, überlegene Deutsche von Untermenschen zu unterscheiden.

Was hat das mit der Aktualität zu tun? Ganz einfach, solch pseudowissenschaftlicher Unfug lebt weiter: «Trump-Wähler, allgemein Wähler im rechten Spektrum, haben eine grössere Amygdala, also einen grösseren Bereich im Gehirn, der Angst und Stress und Aggression berechnet.» Ein Zitat aus einem Interview des Deutschlandfunks mit der Sprachwissenschafterin Dr. Elisabeth Wehling. Mit wem? Also bitte, mit der Autorin des «Spiegel»-Bestsellers «Politisches Framing», mit der Fachexpertin, bekannt aus Funk und Fernsehen als gerngesehener Gast in Talkshows und als Auskunftsperson für bzw. gegen rechtspopulistische Parteien und Hetzer.

Ausserdem hat sie für die deutsche ARD ein «Framing-Manual» erstellt, eine Gebrauchsanweisung, wie man den unfairen Attacken vor allem von rechts gegen den angeblich linken «Staatsfunk» begegnen könne. Hat sich die ARD immerhin 120 000 Euro kosten lassen, also muss es ja Wissenschaft sein. Ist es das?

Neue angeborene Delinquenz

Nun, fangen wir mit der Amygdala an. So wird tatsächlich ein Teil des menschlichen Hirns bezeichnet, von dem man annimmt, dass er bei der emotionalen Bewertung von Situationen eine Rolle spielt. Ob allerdings eine grössere oder eine kleinere Ausformung dieses mandelkernförmigen Gebiets einen Einfluss auf den Umgang mit Angst, Stress und Aggression hat, darüber streitet sich die Wissenschaft bis heute.

Es ist absurd, Wahlverhalten pseudowissenschaftlich mit der Grösse eines Bestandteils des Gehirns begründen zu wollen. Es ist genauso absurd, in der Tradition des Faschismus falsches Verhalten, also zu viel Angst, nicht psychologisch, sondern physiologisch zu erklären, als biologische Fehlfunktion, die sich dann in einem falschen Wahlverhalten äussert. Beispielsweise sind Trump-Wähler dann nicht nur dumm, machen nicht nur etwas falsch, sondern sie sind krank, ihr Gehirn funktioniert nicht normal. Wobei «normal» daran gemessen werden kann, dass ein Normaler nicht Trump wählt.

Da es sich hier um ein angeborenes Problem handelt, kann man die Tradition eines Cesare Lombroso weiterführen. Der entwickelte im 19. Jahrhundert den Begriff des «geborenen Verbrechers». Es gibt nach ihm Menschen, denen Delinquenz als Charaktereigenschaft angeboren ist, im Gegensatz zu solchen, die aus Beweggründen wie Not, Gier oder anderen äusseren Umständen zu Kriminellen werden.

Angeborene Delinquenz muss natürlich anders behandelt und bestraft werden als den Umständen geschuldete. Zuerst muss man sie aber diagnostizieren, und da verwendete schon Lombroso die Analyse der Schädelform oder Kennzeichen wie zum Beispiel zusammengewachsene Augenbrauen. Leider war damals die medizinische Forschung noch nicht so weit, die Amygdala als Hort des Problems zu erkennen.

Die Strategie: das Framing

Diese unsinnigen Behauptungen lassen sich eins zu eins auf die Wähler «populistischer» Parteien in Europa, auf die Wähler der SVP in der Schweiz übertragen. Die müssen nicht nur beschimpft, sondern auch therapiert werden. Als Vorstufe dazu stellt man ihnen das Framing entgegen. Was ist das? Dieser Begriff verpestet die öffentliche Debatte, seit sich «Narrativ» und «Storytelling» abgenutzt und Geschichtenerzähler wie Claas Relotius den Haltungsjournalismus etwas in Verruf gebracht haben.

Framing heisst seit Urzeiten Schubladendenken. Es beschreibt die schon den Griechen bekannte Tatsache, dass man beispielsweise beim Wort «Zitrone» unwillkürlich an «sauer» und «gelb» denkt. Nun ist es aber so, dass rechtspopulistische Hetzer, also alle die, deren Amygdala defekt ist, solches Framing verwenden – im Gegensatz zu der Aufklärung und der Wahrheit verpflichteten Journalisten im Mainstream (Achtung, Framing!). Die rechten Framer sprechen von Flüchtlingsschwemme, warnen vor dem Islam, behaupten, fremde Kulturen liessen sich nicht ohne weiteres in unsere europäische Wertegesellschaft integrieren. Sie machen Vergleiche zwischen steigenden Kriminalitätszahlen und dem Ausländeranteil, sie tun das Gleiche bei Sozialausgaben und Asylsuchenden. Sie verwenden Begriffe wie «Tradition» oder «Nation». In einem Satz: Sie sind krank.

Wenn man sie schon nicht therapieren kann, kann man sie doch mit einer üblen Mischung aus Joseph Goebbels und Gustave Le Bon fertigmachen. Dass sich Wehling in ihrer Dissertation mit der Propaganda des Nationalsozialismus beschäftigte, blieb nicht ohne Folgen. Nicht nur sie verwendet das demagogische Mittel des absurden Zirkelschlusses. Zuerst werden Begriffe oder Denkweisen unter Faschismusverdacht gestellt wie bei Strehle und vielen anderen. Dann werden sie in Aussagen von missliebigen Personen oder Parteien gesucht – und gefunden. Schliesslich wird das Ganze noch pseudowissenschaftlich überzuckert, und schon kann man «quod erat demonstrandum» sagen. Man findet, was man selbst zuvor hineingetragen hat. Absurd, aber wirksam.

Der Begriff «Faschist», so ergibt eine Archivsuche in der Schweizer Mediendatenbank, wurde allein in den letzten zwei Jahren über 2000 Mal in den Printtiteln verwendet. Für die Methoden eines Strehle, einer Wehling? Aber nein, dieses Schimpfwort verwenden in erster Linie Publizisten in den Leitmedien, wenn ihnen nichts anderes einfällt. Sie haben das Framing durchgesetzt, dass es ein kurzer assoziativer Weg von Rechtspopulist über Hetzer zu Rassist und schliesslich Faschist ist. Entweder laufen also im deutschen Sprachraum, in der Schweiz jede Menge Faschisten frei herum – oder Andersdenkende sollen stigmatisiert werden.

Die Einschüchterung

Was wollen alle diese Haltungsjournalisten eigentlich mit dem Begriff «Faschist» sagen? Sie wollen sagen, dass so stigmatisierte Meinungsträger keinen Platz in der öffentlichen Debatte haben. Sie wollen damit sagen, dass Publikationsplattformen, die ihnen dennoch zur Verfügung stehen, gemieden, besser noch verboten werden sollten. Sie wollen damit sagen, dass man solchen Rechtspopulisten, Hetzern, Rassisten, Faschisten keine Plattform geben darf, selbst dann nicht, wenn man sie niedermachen und entlarven will.

Das neue Justemilieu will ausserdem sagen: Die liegen nicht nur falsch, die sind nicht nur gefährlich, die sind nicht nur böse, verderblich, befördern das Schlechte, behindern das Gute. Die sind nicht nur vom rechten Weg abgekommen, verführt worden, dumm. Schlimmer: Die sind einfach krank. Und Krankheiten heilt man ja weder mit Framing noch mit Beschimpfungen. Sondern mit Therapien.

Da bieten sich an: Elektroschocks, kalte Wasserbäder, chirurgische Eingriffe in die befallenen Hirnregionen oder medikamentöse Symptombekämpfung. Und schade, dass der Begriff «Umerziehungslager» irgendwie schlecht geframt ist.