Egal, wie stark der Mensch den Klimawandel antreibt: Das Prinzip der Vorsicht gebietet, dass wir keine unnötigen Risiken eingehen sollten. Was tun? Wir müssen nicht die Gesellschaft umbauen. Kernenergie ist die Lösung. Klima-Retter, die gegen Kernenergie sind, haben eine andere, falsche Agenda.

Die Kontroverse um den Klimawandel beruht auf einem falschen Ansatz. Man streitet sich darüber, ob es überhaupt einen Klimawandel gebe, und wenn es ihn denn gibt, wie man ihn erklären kann – ist er eine Laune der Natur, oder ist es vielleicht doch der Mensch? Dabei gibt es gar nichts zu erklären. Der menschengemachte Klimawandel ist seit über hundert Jahren vorausgesagt worden – am deutlichsten Ende der fünfziger Jahre. Da haben die Forscher Hans Suess und Roger Revelle geschrieben: «Wir machen mit der Erde ein Experiment, dessen Ausgang ungewiss ist und das wir nicht wiederholen können.»

Wie kamen die Forscher zu dieser Einschätzung? Aufgrund von Messungen. Sie hatten festgestellt, dass der Gehalt an Kohlendioxid (CO2) in der Atmosphäre in den Jahren zuvor ständig angestiegen war. Ausserdem hatten sie durch die Messung der Anteile der Kohlenstoff-Isotope herausgefunden, woher dieses zusätzliche CO2 stammte: aus der Verbrennung der fossilen Brennstoffe Kohle, Erdöl und Erdgas.

Das sind Fakten.

Ebenfalls seit langem bekannt ist die Tatsache, dass CO2 wie alle drei- und mehratomigen Moleküle – auch Wasserdampf – Wärmestrahlung absorbiert. Wer jemals in einer Wüste übernachtet hat, kennt das: Weil die Luft dort sehr trocken ist, wird es in der Nacht empfindlich kalt. Die Wärme wird weitgehend ungehindert in den Weltraum abgestrahlt. Tropennächte sind warm, weil die Luft feucht ist. Der Wasserdampf in der Luft behindert die Abstrahlung, deshalb ist es wärmer.

Holz oberhalb der Baumgrenze

Genau so wirkt CO2, nur nicht so stark und auffällig. Darüber gibt es keine wissenschaftliche Kontroverse. Diese drei Fakten sind unbestritten:

1 – Der CO2-Gehalt der Atmosphäre nimmt zu.

2 – Das zusätzliche CO2 (heute 32 Prozent und nicht 3 Prozent, wie es im «Lehrmittel» der Weltwoche steht) stammt aus der Verbrennung von fossilen Brennstoffen.

3 – Mehr CO2 führt zu einer Erwärmung.

Hier beginnen die Kontroversen: Wie viel Erwärmung? Und wie schnell? Dazu gibt es Schätzungen, Vermutungen, Berechnungen und Meinungen, aber keine gesicherten Fakten.

Eine wichtige Kennzahl ist die Klimasensitivität von CO2. Sie sagt, um wie viel Grad Celsius sich die Erde bei einer Verdoppelung des CO2-Gehalts der Atmosphäre erwärmt. Diese Zahl kann man nicht messen, weil wir keine zweite Erde haben, mit der wir experimentieren können. Man muss sie berechnen. Die Resultate der Berechnungen streuen über einen Bereich von 1,5 bis 4,5 Grad Celsius, allerdings mit 3 Grad Celsius als wahrscheinlichstem Wert. Das ist die Gleichgewichtserwärmung. Selbst wenn der CO2-Gehalt ab heute nicht mehr stiege, würde es noch Jahrzehnte dauern, bis das neue Gleichgewicht erreicht wäre. Das liegt an der grossen Trägheit des Klimasystems. Diese Trägheit ist auch die Ursache für Professor Schlüchters Gletscherholz (Weltwoche-Sonderheft über das Klima). Die Tatsache, dass man oberhalb der Baumgrenze Holz findet, beweist nicht, dass es früher wärmer war. Es zeigt bloss, dass die Baumgrenze noch lange nicht dort ist, wo sie aufgrund des gegenwärtigen Klimas hingehört. Bis sie dort ist, dauert es Jahrhunderte.

Um wie viel ist denn die globale Temperatur schon angestiegen? Und wie viel davon ist menschengemacht? Wir wissen beides nicht. Wir wissen nicht genau, welches die Ausgangstemperatur vor der Industrialisierung war, und wir wissen nicht, welche Temperatur wir heute ohne zusätzliches CO2 hätten. Aber letztlich ist das unerheblich. Was wir wissen, ist, dass die natürlichen Schwankungen, die durch Änderungen der Meeresströmungen, Schwankungen der Sonnenaktivität, Vulkanausbrüche, Veränderungen der Grosswetterlage und andere Prozesse verursacht werden, von einer stetig zunehmenden Erwärmung überlagert sind. Wenn es von Natur aus kälter würde, würde es weniger kalt, wenn es von Natur aus wärmer würde, würde es noch wärmer werden. Und wenn es von Natur aus gleichbliebe, wäre die beobachtete Erwärmung zu 100 Prozent menschengemacht.

Was heisst das jetzt für die Klimapolitik? Klar ist, dass es irgendeinmal keine Emission von CO2 mehr geben darf. Wann? Je nachdem, welche Klimasensitivität die richtige ist. Wenn 1,5 Grad Celsius pro Verdoppelung richtig ist und wir die Erwärmung auf 2 Grad Celsius beschränken wollen, haben wir 140 Jahre Zeit – aber nur, wenn wir heute mit Reduzieren anfangen. Wenn sie 3 Grad Celsius beträgt, müssen wir in knapp 60 Jahren so weit sein. Aber wir werden nicht heute damit beginnen, nicht in der Schweiz und schon gar nicht weltweit.

Logik geht anders

Beeinflussen können wir in der Schweiz ja nur unsere eigene Politik. Da herrscht zurzeit Verhältnisblödsinn. Unsere Stromproduktion ist bereits weitgehend CO2-frei. Der Strom kommt aus Wasserkraft und Kernkraftwerken. Bleiben die übrigen 75 Prozent der Energie. Sie stammen heute noch aus fossilen Quellen. Wie verhindert man diese Emissionen? Weniger fliegen? Gar nicht mehr fliegen bringt 2 bis 3 Prozent. Weniger Auto fahren? Gar nicht mehr Auto fahren bringt um die 30 Prozent. Industrie, Dienstleistungen und Haushalte müssten aber auch noch ohne fossile Energie auskommen. Selbst die radikalsten Vorschläge, die man aus der Politik vernimmt, bringen praktisch nichts – ausser einem guten Gewissen. Dabei will man je nach Partei 2025, 2035 oder 2050 CO2-frei sein. Logik geht anders!

Ein beliebtes Rezept heisst: Wir ersetzen alle fossilen Brennstoffe durch erneuerbare Energiequellen wie Sonne, Wind und Geothermie. Das gehe problemlos, hört man seit Jahren. Wirklich? Deutschland hat das Experiment gemacht. Das Land hat in den letzten zehn Jahren Hunderte Milliarden Euro für Wind- und Sonnenenergie ausgegeben und praktisch nichts erreicht. Seit 2011 ist der CO2-Ausstoss Deutschlands praktisch gleich geblieben. Dabei haben sie nur die Stromversorgung umgestellt. Die übrigen Sektoren rauchen weiter vor sich hin. Deutschland hat uns vorgemacht, wie die Energiestrategie 2050 funktioniert: gar nicht!

Wir haben die Wahl: Wir verzichten auf den grössten Teil der Energie und fallen zurück in das vorindustrielle Zeitalter. Allerdings muss die Welt jetzt zehnmal mehr Menschen ernähren als damals. Es wäre eine unvorstellbare Katastrophe. Oder – wir stellen die Energieversorgung um. Die ganze Energieversorgung, nicht bloss die Stromversorgung. Nach der seit 300 Jahren fortschreitenden Umstellung von den erneuerbaren Energien (Holz, Wasser, Wind und Tiere) zu den fossilen muss jetzt die Umstellung von den fossilen Energien zu den nuklearen folgen. Die Kernreaktoren der Zukunft werden nicht sein wie die in Gösgen oder Leibstadt. Es werden Reaktoren der dritten und vierten Generation sein, wie sie in China, Korea und Russland gebaut werden und wie man sie in China, Kanada und den USA entwickelt. Es wird Klein- und Kleinstreaktoren geben, die dezentral eingesetzt werden und die in Fabriken vom Fliessband laufen. Es wird Reaktoren mit schnellen Neutronen geben (schnelle Reaktoren), die langlebigen Abfall als Energierohstoff brauchen, und Thorium-Reaktoren als Alternative zu Uran.

Nein, der Uranbestand geht nicht in sechzig Jahren zu Ende, wie man etwa hört. Mit schnellen Reaktoren wird all das Uran-238, das bei der Anreicherung angefallen ist, zu Energierohstoff, und die Uranminen können für tausend Jahre geschlossen werden. Hochtemperatur-Reaktoren, entweder gasgekühlt oder mit Salzschmelze, liefern Prozesswärme für die Industrie und dienen der Herstellung von synthetischen Treibstoffen. Drucklose Kleinreaktoren übernehmen die Heizung der wachsenden Städte. Allen Reaktortypen ist etwas gemeinsam: Sie sind so konstruiert, dass sämtliche Auswirkungen jedes denkbaren Unfalls auf die Anlage beschränkt bleiben.

Und die gigantischen Berge von Atommüll? Abfälle aus Kernreaktoren sind das beste Argument für Kernenergie! Erstens gibt es mehrere Millionen Mal weniger Abfall als bei anderen Methoden der Energieproduktion, und zweitens entsorgt er sich selbst, indem er zerfällt. «Ja, aber das dauert ewig!», hört man. Radioaktive Stoffe, die «ewig» brauchen, um zu zerfallen, sind so schwach radioaktiv wie Granit, also harmlos, und hochaktive Stoffe zerfallen schnell. Wenn man die plutoniumartigen Elemente abtrennt und verwertet, müssen die Spaltprodukte einige hundert Jahre sicher gelagert werden, nicht einige hunderttausend. Ich war kürzlich im Schloss Thun. Das steht seit 800 Jahren. Sie wären dort gut aufgehoben.

Nein, wir müssen nicht die Gesellschaft umbauen, um das Klima zu retten. Das können wir gar nicht, ohne unabsehbaren Schaden anzurichten. Wir müssen unsere energetische Infrastruktur umbauen, und zwar so schnell wie möglich und weltweit. Das Prinzip der Vorsicht gebietet, dass man bei Unsicherheit nicht die harmlosere Variante voraussetzt. Wir sollten daher sicherheitshalber davon ausgehen, dass die Klimasensitivität von CO2 eher 3 Grad Celsius ist oder mehr. Sollte sie kleiner sein, umso besser.

Es gibt viele Leute, die jetzt vor einem Dilemma stehen: Wegen Greta sind sie plötzlich Klimaaktivisten und -aktivistinnen geworden, aber sie waren immer gegen Kernenergie und haben deshalb für die unselige Energiestrategie 2050 gestimmt. Sie müssen sich jetzt entscheiden. Sie müssen Farbe bekennen. Alle, die immer noch gegen Kernenergie sind, haben im Grunde kein Problem mit dem Klimawandel. Sie haben eine andere politische Agenda. Sie wollen dem Klimaproblem die freie Marktwirtschaft opfern.

Simon Aegerter ist Physiker und hat 1966 beim Klimapionier Hans Oeschger in Bern promoviert. In seiner langen beruflichen Laufbahn betätigte er sich als Forscher und Forschungsförderer, war Technorama-Direktor und Unternehmer und nebenher Präsident diverser wissenschaftlicher Stiftungen sowie Chefphysiker der Armee. Über all die Jahrzehnte hat er die Fachliteratur zum Klimawandel verfolgt und gelegentlich darüber populärwissenschaftlich berichtet.