Warum ist es in diesem Winter so kalt?

Weltwoche, 17.02.2021, Markus O. Häring

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Namhafte Wissenschaftler erklären die tiefen Temperaturen mit dem Klimawandel. Doch das ist nur Spekulation. Und es ist nicht die einzige in der ganzen Debatte.

Erinnern Sie sich an das Jahr 2006? Al Gore, Ex-US-Vizepräsident, lanciert den Katastrophenfilm «An Inconvenient Truth». Vor grossem Publikum steigt er auf eine Leiter und zeigt hoch oben auf die Sechs-Meter-Marke eines vertikalen Massstabs. So hoch werde der Meeresspiegel ansteigen, prophezeit er mit donnernder Stimme, wenn wir nicht sofort aufhörten, Kohle, Öl und Gas zu verbrennen. Dafür erhält er 2007 zusammen mit dem Weltklimarat (IPCC) den Friedensnobelpreis.

Zweite Szene, Januar 2021: Der natürliche Moränendamm der Laguna Palcacocha, eines Gletschersees in den peruanischen Hochanden, droht zu bersten und die Stadt Huaraz zu überfluten. Schuld daran ist die Gletscherschmelze, die den See zunehmend auffüllt. Gemäss Nature Geoscience ist der menschengemachte Klimawandel daran schuld, was auch Professor Reto Knutti einen Re-Tweet wert war.

Dritte Szene, Februar 2021: Professor Stefan Rahmstorf, Klimawissenschaftler am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, erklärt die Kältewelle mit dem Klimawandel. Durch die polare Erwärmung sei der Polarwirbel instabil geworden, wodurch kalte Polarluft in unsere Breitengrade vordringt. Ein Phänomen, das durch den menschengemachten Klimawandel vermehrt auftreten dürfte.

Vierte Szene, 2020 bis heute: Covid-19 zwingt die Menschheit in eine wirtschaftliche Rezession. Der weltweite Energieverbrauch sinkt, die CO2-Emissionen gingen im letzten Jahr gegenüber 2019 um ganze 17 Prozent zurück. Und deshalb haben wir jetzt einen kalten Winter.

Brandolinis Gesetz

Was ist diesen vier Szenen gemeinsam? Alle vier sind Unsinn, im Englischen bullshit genannt. Alfredo Brandolini, ein italienischer Informatiker, hat dazu ein Gesetz formuliert, das nun seinen Namen trägt: «Das Widerlegen von Bullshit erfordert eine Zehnerpotenz mehr Energie als dessen Produktion.» Ich werde trotzdem versuchen, die obigen Szenen zu widerlegen.

Die Behauptung Al Gores ist am einfachsten zu entlarven. Er war so schlau, nicht zu erwähnen, wann der Meeresspiegel auf die besagte Marke steigen soll. Nüchterne Wissenschaftler schätzten schon damals, der Meeresspiegel werde bis Ende des Jahrhunderts um dreissig Zentimeter steigen, so wie bereits in den vorhergegangenen hundert Jahren. Dieser Trend hat sich fortgesetzt. In den vergangenen fünfzehn Jahren ist der Meeresspiegel wie erwartet um 4,5 Zentimeter angestiegen. So dürfte es noch 2000 Jahre dauern, bis Gores Prophezeiung wahr wird.

Berstende Bergseen wiederum sind klassische Naturereignisse, die es immer gegeben hat und immer wieder geben wird. Die freigesetzten Kräfte sind ein Phänomen der Schwerkraft. Auslöser sind Verwitterungsprozesse durch Wind und Wetter. Klimawandel, weder natürlicher noch menschengemachter, kann Energie aus Schwerkraft verändern. Der Auslöser spielt dabei keine Rolle. Es kann auch der Tritt einer Gämse sein (oder eines Vikunjas in den Anden). Die Kräfte können nur einmal freigesetzt werden. Dann sind Wasser oder Steine unten.

Dass wir jetzt einen solch kalten Winter haben, kann nicht einfach mit dem Klimawandel in Zusammenhang gebracht werden. Ausbrüche des Polarwirbels im Winter hat es immer gegeben. Das versetzt nicht nur Europa, sondern auch Nordamerika und Sibirien in Eiseskälte. Ob das mit einer wärmeren Arktis häufiger und stärker ausfallen wird als bisher, ist Spekulation, keine Wissenschaft. Australien erlebt gerade einen relativ kühlen Sommer. Dort ist «La Niña» dafür verantwortlich, eine sporadisch auftretende Kaltströmung im Pazifik. Es gibt Fakten, die es nicht zu bestreiten gibt. Diese muss ein seriöser Wissenschaftler von seinen Spekulationen klar trennen können. So hat sich die mittlere Temperatur der Troposphäre seit 1997 (Beginn weltumspannender Temperaturmessungen mit Satelliten) pro Jahrzehnt durchschnittlich um 0,15 Grad erhöht, was eine Erwärmung um 1,5 Grad in hundert Jahren bedeutet. Dieser Trend hat bereits in vorindustrieller Zeit begonnen und setzt sich gemäss den Messungen innerhalb einer natürlichen Schwankungsbreite fort.

Durch Fakten widerlegt

Die CO2-Emissionen aus menschlicher Aktivität steigen seit Beginn der Industrialisierung und betragen heute 36,5 Milliarden Tonnen pro Jahr. Die Emissionen sind in den letzten dreissig Jahren immer schneller gestiegen, eine Trendumkehr zu einem langsameren Anstieg wird jetzt aber erkennbar. Die Klimaprognosen der Alarmisten beziehen sich immer auf das berüchtigte RCP8.5-Szenario des Weltklimarats. Das ist das Worst-Case-Szenario, das von einer ungebremsten Beschleunigung von Treibhausgasemissionen ausgeht. Das war von Anfang an eine unwahrscheinliche Annahme, unterdessen ist sie durch Fakten widerlegt.

Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre ist seit 1997 von 336 ppm («parts per million»; 0,0336 Prozent) auf 415 ppm (0,0415 Prozent) gestiegen. CO2 ist ein Treibhausgas, das einen Einfluss auf die Klimaerwärmung hat; nur ist keinesfalls gesichert, wie stark dieser Beitrag ist, auch wenn das Gegenteil behauptet wird. Es ist durchaus relevant, diesen Beitrag zu ermitteln, denn er wird Auskunft darüber geben, wie stark sich eine CO2-Reduktion auf die Klimaentwicklung auswirken wird.

Das können aber nur unvoreingenommene Forscher herausfinden. Wissenschaftler, die in der Erwärmung nur Unheil und in der Energieversorgung mit fossilen Brennstoffen nur Schlechtes sehen, können das nicht.

Markus O. Häring ist promovierter Geologe und Vizepräsident des Carnot-Cournot-Netzwerks.