NZZ, Stephanie Lahrtz, 19.02.2021
Altes Holz aus Neuseeland hilft Forschern dabei, den Ablauf der letzten Schwächung des Erdmagnetfelds zu rekonstruieren. Sie spekulieren auch über dramatische Umweltfolgen. Doch dies ist eine kühne These.
Vor 41 000 bis 42 000 Jahren hatte das Erdmagnetfeld letztmals einen Schwächeanfall. Dieses Ereignis haben jetzt Forscher um Alan Cooper vom South Australian Museum in Adelaide genauer als je zuvor dokumentiert. In einer Zusammenschau von Indizien versuchen die Wissenschafter ausserdem zu belegen, dass die Schwäche des Magnetfelds durch den Einfluss auf das Klima eine globale Umweltkrise ausgelöst haben könnte.
Die Basis der Studie, die im Wissenschaftsmagazin «Science» erschienen ist, waren uralte Baumstämme in Neuseeland, die ein Sumpf konserviert hatte. Die Forscher um Cooper analysierten den Anteil des radioaktiven Kohlenstoffisotops C-14, das in dem Holz enthalten war. Dieses Isotop liefert Aufschluss über die Stärke des Magnetfelds. Denn C-14 wird gebildet, wenn kosmische Strahlung auf die Atmosphäre trifft. Vor dieser schützt normalerweise das Erdmagnetfeld. Schwächelt es, nimmt die Produktion von C-14 zu. Gemäss dem Team um Cooper ergibt die Auswertung des Holzes, dass die Stärke des Magnetfelds vor rund 41 500 Jahren auf sechs Prozent des heutigen Werts gesunken ist.
Um ein genaues Bild davon zu erhalten, wie die Schwächung des Magnetfelds ablief, glichen die Forscher die Analyse mit anderen Daten ab, zum Beispiel von Eisbohrkernen. Sie erhielten eine Chronologie mit bisher nicht erreichter Genauigkeit. Einige Mitautoren berechneten anhand dessen mit einem Klimamodell, wie die Atmosphäre auf die Schwächung des Magnetfelds reagiert hat.
Kosmische Strahlung produziert nicht nur C-14, sondern ruft auch andere chemische Veränderungen in der Atmosphäre hervor. Es kommt zu einer Ionisierung. Diese löse eine Kaskade von Reaktionen aus, welche die Ozonschicht schwächten, erklärt der Mitautor Julien Anet von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Winterthur. Gemäss der Studie nahm das Ozon in der Stratosphäre im Zuge der Abschwächung des Magnetfelds seinerzeit um ungefähr fünf Prozent ab.
In der Folge veränderte sich die atmosphärische Zirkulation. Der Jetstream – ein Band starken Winds in zehn Kilometern Höhe – begann stärkere Wellen zu schlagen. In Nordamerika wurde es dadurch kälter und in Europa wärmer. Das passt zu Rekonstruktionen der Ausdehnung des kanadischen Eisschilds. Thomas Peter von der ETH Zürich, der gemeinsam mit der Doktorandin Marina Friedel und weiteren Schweizer Forschern an den Simulationen beteiligt war, weist aber darauf hin, dass es noch Ungewissheiten gibt, wie sich damals die Ozeane verhalten haben.
Ist die rote Farbe, in der sich die Handumrisse in der Höhle Cueva de El Castillo in Kantabrien abzeichnen, eine Art Sonnencreme? Es würde zur These einer globalen Umweltkrise passen, die die Forscher in ihrer Arbeit skizzieren. Vor fast 42 000 Jahren könnte die Abschwächung des Erdmagnetfelds diese Krise hervorgerufen haben. Paul Pettitt, Gobierno de Cantabria
Aus den mutmasslichen Klimaveränderungen zieht das Team um Cooper weitreichende Schlüsse. Es entsteht das Bild einer globalen Umweltkrise. In Australien starben mehrere grosse Säugetierarten aus. Weltweit entstanden in Höhlen Kunstwerke, die von den Forschern als Folge der stärkeren UV-Strahlung an der Erdoberfläche interpretiert werden: Rote Handabdrücke könnten darauf hindeuten, dass die frühen Menschen sich mit einer Art prähistorischen Sonnencrème schützten. Auch die Auslöschung der Neandertaler fällt in diese Zeit.
Was die Spekulationen über die Umweltfolgen angeht, zeigen sich Forscher, die nicht an der Studie beteiligt waren, sehr reserviert. Mehr Resonanz ruft der erste Teil der Studie hervor.
Als plausibel bezeichnet der Atmosphärenphysiker Bernd Funke vom Instituto de Astrofísica de Andalucía in Granada, dass es durch die Schwächung des Magnetfelds einen stärkeren Abbau von Ozon aufgrund der Zunahme kosmischer Strahlung gegeben hat. Doch er schränkt ein, dass dieser Vorgang bisher nicht durch Beobachtungsdaten überprüft, sondern nur mit Modellen errechnet werden konnte. Die Stärke des Effekts sei darum unsicher.
Hubertus Fischer von der Universität Bern lobt die umfangreiche Analyse der Magnetfeldänderungen und die sorgfältige Datierung in der Studie. Auch die potenziellen Auswirkungen auf das Ozon und auf das regionale Klima im Nordatlantik hält er für «gut begründet». Er macht aber darauf aufmerksam, dass es damals starke und abrupte natürliche Klimaschwankungen gegeben habe, die global deutlich einflussreicher gewesen sein könnten als die eher schwache Wirkung des Magnetfelds auf das Klima.