Was die Explosion des Hunga Tonga mit dem Klima zu tun hat

Weltwoche, Fritz Vahrenholt, 16.8.2023

Die Erderwärmung wird durch gigantische Unterwasser-Vulkanausbrüche beschleunigt. Dennoch bleibt die Forschung bei der fixen Idee, das CO2 sei schuld.

Die Erderwärmung bleibt ein beherrschendes Thema. Im Juli 2023 ist die Abweichung der globalen Temperatur vom dreissigjährigen Mittel der satellitengestützten Messungen der University of Alabama (UA) gegenüber dem Mai sehr deutlich angestiegen. Das Plus beträgt 0,64 Grad Celsius und stellt die zweithöchste Abweichung vom langjährigen Mittel seit 1979 dar. Zum Vergleich: Der Temperaturanstieg beträgt seit 1979 im Durchschnitt pro Jahrzehnt 0,14 Grad Celsius. Der für die Messungen verantwortliche Dr. Roy Spencer stellte jüngst fest, «dass etwas Seltsames vor sich geht». Über mögliche Ursachen erfahren Sie unten mehr.

Wasser statt Asche und Schwefel

Am 15. Januar 2022 ereignete sich die Eruption des unterseeischen Vulkans Hunga Tonga im Südpazifik nahe dem Tonga-Archipel. 146 Millionen Tonnen Wasser wurden bis vierzig Kilometer in die Stratosphäre hochgeschleudert. Der Wasserdampf, das mit Abstand bestimmende Klimagas unserer Erde, erhöhte sich in der Stratosphäre um 10 bis 15 Prozent. Nach Angaben der Nasa ist die Hunga-Tonga-Explosion die grösste bekannte Wassereruption in die Stratosphäre.

Normalerweise schiessen Vulkane wie etwa der Pinatubo Asche und Schwefelverbindungen in die Atmosphäre und führen dadurch zu einer Abkühlung. Der Hunga Tonga liegt indessen 150 Meter unter der Wasseroberfläche und hat daher hauptsächlich Wasser hochkatapultiert. Wasserdampf in der Stratosphäre führt zu einer Temperaturerhöhung. Der Wasserdampf verteilt sich aufgrund fehlender Windströmungen in der Stratosphäre nur langsam, so dass die Spitze der Temperaturerhöhung ein bis zwei Jahre nach dem Ereignis, also in diesem Jahr, zu erwarten ist. Nach der Einschätzung von Susan Solomon, Stratosphärenphysikerin der US-Technologie-Hochschule MIT, wird die globale Temperatur drei bis fünf Jahre lang um etwa 0,05 Grad Celsius erhöht. Ebenfalls wird in den nächsten fünf Jahren der Niederschlag auf die Erde vergrössert. Angesichts eines durchschnittlichen Anstiegs der Temperatur der letzten vierzig Jahre von 0,014 Grad Celsius pro Jahr wird der Anstieg durch den Hunga Tonga also etwa verdoppelt.

Festzustellen, inwieweit die Veränderung der Stratosphäre den Jetstream und die dadurch entstehenden blockierten Wetterlagen beeinflusst, wäre eine interessante Aufgabe für unsere Wetterforscher. Nimmt man hinzu, dass sich im Sommer 2023 ein neuer El Niño im Pazifik gebildet hat, der üblicherweise die globalen Temperaturen (wie bereits 1998, 2010, 2016) um 0,3 bis 0,5 Grad erhöht, sind die Juni- und Juli-Rekordtemperaturen auf natürliche Weise, ohne CO2-Einwirkung, erklärbar.

Aber nein – stattdessen erreichte uns soeben eine Hitzetod-Warnung von Gesundheitsminister Lauterbach, die er mit dem CO2-bedingten Klimawandel begründete. Und kein Wort über El Niño oder den Hunga Tonga in den Nachrichtensendungen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Es hätte wohl das schrille CO2-Narrativ Anfang Juli zu sehr gestört, wenn auf natürliche Ursachen einer Wetterveränderung hingewiesen worden wäre. Lauterbach verstieg sich zur Aussage: «Der Klimawandel zerstört den Süden Europas. Eine Ära geht zu Ende.»

Klimaforscher begeben sich aufgrund der medialen Nachfrage aufs dünne Eis gesellschaftspolitischer Ratschläge.Auch über andere Erwärmungsursachen schweigt man lieber. Ich hatte vor knapp zwei Jahren via eine peer-reviewed, also wissenschaftlich geprüfte Veröffentlichung von Hans-Rolf Dübal und mir in der Zeitschrift Atmosphere über die Erhöhung der globalen Sonnenscheindauer und den Rückgang der Wolken berichtet. Danach ist die Erwärmung der Erde in den letzten zwanzig Jahren im Wesentlichen auf eine höhere Durchlässigkeit der Wolken für die kurzwellige Sonneneinstrahlung zurückzuführen.

Nasa-Forschungsergebnisse ignoriert

Aufgrund der Strahlungsdaten des satellitengestützten Ceres-Projekts der Nasa konnten wir feststellen, dass die langwellige Rückstrahlung (der sogenannte Treibhauseffekt) in diesen zwanzig Jahren nur zu einem geringeren Teil zur Erwärmung beitrug. Zu ähnlichen Ergebnissen kam ein Team der Nasa-Forscher um Norman Loeb. Eine Diskussion unter Klimawissenschaftlern über dieses überraschende Ergebnis hat noch nicht stattgefunden. Nun haben wir – also zwei Jahre später – die neuesten Satellitendaten ausgewertet und stellen fest, dass der Rückgang der Wolken anhält und für den wesentlichen Teil der Erwärmung verantwortlich ist. Dies gilt auch für Europa. Im Rahmen des Copernicus-Programms der EU wurden die Sonnenscheindauer und die Wolkenbedeckung in Europa ermittelt – mit folgenden beeindruckenden Ergebnissen: Es gab über 250 Sonnenstunden mehr pro Jahr in den letzten Jahren im Vergleich mit den 1980ern, und das bleibt nicht ohne Folgen. Denn die Temperatur nimmt mit der Sonnenscheindauer zu. Vergleicht man die Sonnenscheindauer mit der Temperaturänderung in Europa, so ist eine sehr grosse Übereinstimmung der beiden Entwicklungen feststellbar.

Was sind denn die Ursachen der Wolkenverdünnung? Hier kommen im Wesentlichen zwei Faktoren in Frage:

1. Der Rückgang der Aerosole (Staubpartikel) aufgrund der Luftreinhaltung in den vergangenen dreissig Jahren. Aerosole können die Wolkenbildung begünstigen. Saubere Luft könnte also dazu geführt haben, dass die Bildung niederer Wolken zurückgegangen ist.

2. Die seit 1985 festzustellende Erwärmung des Atlantiks aufgrund der Atlantischen Multidekaden-Oszillation (AMO), die in einem Sechzig-Jahre-Zyklus zwischen Wärme- und Kälteperioden schwingt. Die Korrelation ist hoch.

Welchen Anteil an der Erhöhung der Sonnenscheindauer der Rückgang der Aerosole und/oder die zyklische AMO haben, wird sich in den nächsten Jahren herausstellen. Natürlich könnte auch das CO2 über seinen Erwärmungseffekt zum Wolkenrückgang beigetragen haben. Aber auch dann bleibt festzuhalten, dass nicht die Zunahme der durch CO2 bedingten langwelligen Rückstrahlung der wesentliche Grund für die Erwärmung der letzten zwanzig Jahre war, sondern die Zunahme der direkten Sonneneinstrahlung aufgrund des Rückgangs der Wolkenbedeckung.

Warum geben die Klimamodelle, welche die politische Debatte prägen, dies nicht zutreffend wieder? In Anbetracht der offenen Fragen über den Anteil des CO2 an der Temperaturerhöhung der letzten zwanzig Jahre muss man über die Rigidität und Rücksichtslosigkeit erschreckt sein, mit der die deutsche und die europäische Politik eine Netto-null-Politik für CO2 im Alleingang betreiben und damit die Zerstörung des Wohlstands in Kauf nehmen.

Politik definiert sich zunehmend als Klimapolitik. Daher tragen Klimaforscher eine hohe Verantwortung in unserem Land, in dem sie wie in kaum einem anderen Land grossen politischen Einfluss haben. Dabei wird wenig beachtet, dass Klimaforscher sich aufgrund der medialen Nachfrage aufs dünne Eis gesellschaftspolitischer Ratschläge begeben.

So war in den heissen Tagen des Juli-Anfangs der Klimaforscher Mojib Latif ständiger Gast auf allen öffentlich-rechtlichen Kanälen. Er meinte, darauf hinweisen zu müssen, «wenn sich das Klima immer weiter ändert, können Sie den Wohlstand auch vergessen. Dann funktioniert nichts mehr auf der Welt . . .» Dabei habe die nächste industrielle Revolution bereits begonnen. Es werde auch um erneuerbare Energien gehen. Deutschland könnte aber das Nachsehen haben: «Die Chinesen zum Beispiel sind viel schneller als wir. Wir laufen Gefahr, die neuen Märkte zu verlieren.»

China als Beispiel – ist Herrn Latif entgangen, dass Chinas Marktführerschaft bei Solarzellen, Windturbinen, Batterien und Elektroautos, mit denen es demnächst Europa überschwemmen wird, im Wesentlichen bedingt ist durch die Erzeugung billigen Stroms auf der Basis von Kohle und Kernenergie? Die CO2-Emissionen Chinas steigen dramatisch, die in Europa sinken – dies bei Strafe des wirtschaftlichen Untergangs.

Effekte der CO2-Zertifikatskosten

Wie wäre es mit der Idee, in Europa bei den Gütern, bei denen wir im harten Wettbewerb mit China stehen, die CO2-Emissionen nur insoweit zu reduzieren, wie dies auch China – mit Abstand die grösste Exportnation der Erde – zu tun bereit ist? Die Politik in Deutschland hat der Industrie und den Bürgern den Mühlstein der höchsten Strompreise der Welt um den Hals gehängt. Deutsche Industriestrompreise sind dreimal so hoch wie in China aufgrund der hohen europäischen CO2-Zertifikatskosten, des Ausstiegs aus der Kernenergie sowie des hohen Anteils an erneuerbaren Energien hierzulande.

Wenn in dieser Situation ein Klimawissenschaftler bemängelt, dass wir nicht so erfolgreich und kostengünstig seien wie China, dann frage ich mich, wie gut dieser Mann die vier Grundrechenarten beherrscht.

Fritz Vahrenholt ist promovierter Chemiker und Honorarprofessor an der Universität Hamburg. Er war Umweltsenator (SPD) in Hamburg (1991–1997) und Berater für Energiefragen bei Kanzler Schröder.