Global Warming und gesunder Menschenverstand
Ausgezeichneter Artikel in der NZZ vom 7./8. Juni zum Thema Global Warming und gesundem Menschenverstand.
Klimaschutzpolitik als Ausdruck des Nihilismus
Ein Plädoyer für gesunden Menschenverstand und Wettbewerb statt Bürokratie und konsensuale Gutheissung
Von Edgar Gärtner*
Der Klimawandel wird mit politischen und bürokratischen Mitteln zu bekämpfen versucht. Der Autor kritisiert diesen statischen Ansatz und plädiert für mehr Wettbewerb und gesunden Menschenverstand, um sich nicht die künftigen Chancen zu verbauen. (Red.)
In den Auseinandersetzungen um den richtigen Umgang mit dem Klimawandel oder den Gesundheitsrisiken von Chemikalien geht es im Grund um den Kampf zwischen zwei kaum vereinbaren Weltbildern. Auf der einen Seite steht die Auffassung, wir Menschen lebten in einem geschlossenen System (Naturhaushalt) und könnten durch dessen fortschreitende Erforschung wenigstens mit 90%iger Gewissheit die Kräfte erlangen, die das System im Gleichgewicht halten. Der Naturhaushalt und die Lebensgrundlagen, die er uns liefert, könnten folglich durch die Anwendung wissenschaftlich abgeleiteter Management-Regeln haushälterisch verwaltet werden. Das ist die Sicht der vordarwinistischen (und präkantianischen), aus der Physico-Theologie des 17. und 18. Jahrhunderts hervorgegangenen Oekologie.
Insel im Meer des Nichtwissens
Ihr gegenüber steht die auf Charles Darwin (1859) zurückgehende evolutionäre Sichtweise, wonach es in der Natur keine prästabilierte Harmonie gibt. Vielmehr ist die Welt in jeder Hinsicht offen. Fast alles befindet sich in ständigem Fluss. Die Entwicklungsrichtung von Mensch und Natur ist das Ergebnis des Lernens aus Versuch und Irrtum. Systeme existieren daher nur in unseren Köpfen oder in Gegenständen beziehungsweise Organisationen, die wir bewusst schaffen. Menschliches Wissen bleibt eine Insel in einem Meer von Nichtwissen. Oder mit anderen Worten: Statt 90% wissen wir meist weniger als 1% von dem, was wir wissen müssten, um Entwicklungen in Natur und Gesellschaft gezielt steuern zu können. Wir müssen – nur mit dem schwachen Licht der Vernunft ausgerüstet – im Dunkeln voranschreiten. Nur im «Kampf ums Dasein» bewährte Institutionen, beginnend mit der Familie, der Kommune und der Kirchgemeinde, vermitteln uns dabei provisorische Gewissheit. Nur in deren Rahmen kann auch ein haushälterisches Herangehen an Probleme der Ressourcenversorgung sinnvoll sein.
In der evolutionären Sichtweise kann es keine ökologische Nachhaltigkeit ohne Freiheit geben, denn diese ist Voraussetzung des Lernens aus Versuch und Irrtum. Freiheit bedeutet Reden und Handeln im Einklang mit seinen mentalen Dispositionen. Dabei überwiegen Glaubenssätze, Motive und Präferenzen, die ihren individuellen Trägern nur zum Teil bewusst sind. Bewusstes wissenschaftliches Wissen ist hingegen weniger wichtig als der gesunde Menschenverstand. Das gilt auch für kollektive Entscheidungsprozesse. Nur in Familien, Clans oder Horden bis zu einer Gruppenstärke von höchstens 150 Personen können diese unmittelbar ausdiskutiert werden, wobei bekanntlich nicht alle Stimmen das gleiche Gewicht haben. Vielmehr kommt es auf die Meinung von Häuptlingen oder anderen Autoritäten an.
Verführerische Bürokratie
Oberhalb der «magischen Zahl» von 150 gibt es im Grund nur zwei Methoden kollektiver Entscheidungsfindung: den Markt und die Bürokratie. Der Markt ist zwar historisch viel älter, denn wir wissen, dass schon die Jäger und Sammler der Steinzeit Fernhandel mit unbekannten Menschen trieben. Dennoch erscheint er als «künstlich», weil das menschliche Hirn, angepasst an das Jahrtausende bis Jahrmillionen währende Leben in überschaubaren Horden, schlecht mit unpersönlichen Formen des Austauschs zurechtkommt. Viel «natürlicher» scheint uns eigenartigerweise die erst viel später mit dem Leben in grösseren Städten aufgekommene Bürokratie zu sein, weil sie vermutlich an die hierarchische Struktur der Horde erinnert. Die Bürokratie kann viel verführerischer sein als der Markt. Deshalb bedarf es einer Ordnungspolitik zur Eindämmung bürokratischer Auswüchse.
Ein gutes Beispiel dafür ist die Risikovorsorge. Das «Vorsorgeprinzip» wurde im Jahr 1992 auf der Uno-Konferenz über Umwelt und Entwicklung (Unced), dem legendären «Erd-Gipfel» von Rio, folgendermassen definiert: «Drohen schwerwiegende oder bleibende Schäden, so darf ein Mangel an vollständiger wissenschaftlicher Gewissheit kein Grund dafür sein, kostenwirksame Massnahmen zur Vermeidung von Umweltverschlechterungen aufzuschieben» (Grundsatz 15 der Rio-Deklaration).
Wie verträgt sich dieser Grundsatz mit dem Prinzip der Verhältnismässigkeit, wonach die Kosten in einem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen von Massnahmen stehen müssen? Weil der ebenfalls 1992 angenommene EU-Vertrag von Maastricht im Artikel 130r (später 174) das Vorsorgeprinzip kodifizierte, aber nicht näher definierte, sah sich die EU-Kommission im Jahr 2000 veranlasst, in einem umfangreicheren Papier zu präzisieren, dass seine Anwendung im Risikomanagement auf einer wissenschaftlichen Risikobewertung und einer rationalen Kosten-Nutzen-Abwägung fussen muss. Kurz: Das Vorsorgeprinzip schliesse das im Maastricht-Vertrag ebenfalls kodifizierte Prinzip der Verhältnismässigkeit und die damit verbundene Verpflichtung zur Gesetzesfolgen-Abschätzung ein. Leider spielt der Maastricht-Vertrag heute für die Begründung der EU-Politik kaum noch eine Rolle.
Uebertriebene Vorsorge
Vorsorgeaufwendungen, die mehr kosten, als sie je einbringen können, gelten zu Recht als bescheuert, als irrational. Das ist eindeutig der Fall, wenn das Vorsorgeprinzip als Forderung nach einem «Nullrisiko» ausgelegt wird. So erklärte beispielsweise der damals in der EU federführende österreichische Umweltminister Josef Pröll im Jahr 2006 bei der Verabschiedung der Dubai-Deklaration zur Chemikalien-Sicherheit: «Die Deklaration sagt: Wenn du dir nicht sicher bist, welche Auswirkungen etwas hat, lasse die Finger davon.» Hätten die Menschen immer diesen Grundsatz befolgt, hätten sie weder das Feuer gezähmt noch das Rad erfunden! Und man müsste auch Schokolade verbieten, weil man mit Utensilien und Zutaten, die in jeder Küche zu finden sind, daraus leicht gefährlichen Sprengstoff herstellen könnte. Uebertriebene Vorsorge führt also zum Stillstand, wenn nicht gar zum Tod. Die dahinterstehende Denkweise heisst Nihilismus.
Was verstehen wir darunter? In gängigen Lexika wie der Online-Enzyklopädie «Wikipedia» liest man meistens, Nihilisten glaubten an gar nichts. Heute gelten islamistische Selbstmordattentäter als typische Nihilisten. Niemand kann aber behaupten, diese glaubten an nichts. Deshalb scheint mir die Nihilismus-Definition, die der französische Schriftsteller Albert Camus in seinem 1951 veröffentlichten Essay «Der Mensch in der Revolte» gab, weitaus erhellender zu sein. «Der Nihilist», schrieb Camus, «glaubt nicht an nichts, sondern nicht an das, was ist.» Er berief sich dabei auf Friedrich Nietzsche, der den Nihilismus als Negation des Lebens definiert hatte. Allgemein bedeutet danach Nihilismus, etwas höher zu schätzen als das menschliche Leben in Freiheit und Würde. Für die Motive von Selbstmordattentätern trifft das sicher zu.
Negation des Lebens
Selbstmordattentate sind aber heute beileibe nicht die einzige und wahrscheinlich nicht einmal die wichtigste Manifestation des Nihilismus. Auch hinter Uebertreibungen der heutigen Wellness-Bewegung lassen sich unschwer nihilistische Motive ausmachen. Viele Wellness-Jünger tun des Guten zu viel und verpassen über der Sorge, ob sie wirklich alles Denkbare für den Erhalt ihrer Gesundheit getan haben, das Leben. Statt sich des Lebens zu erfreuen, heben sie sich die Gesundheit für das Ende ihrer Tage auf. «Auch wer gesund stirbt, ist definitiv tot», bemerkte dazu mit trockenem Humor der bekannte Psychiater und katholische Theologe Manfred Lütz.
Wirtschaftlicher Selbstmord aus Angst vor dem Tod
Weniger lustig mutet dagegen der verbissene Kampf von Umweltverbänden und grünen Politikern gegen verdächtige Kunststoffweichmacher in lebensrettenden Blutbeuteln und flexiblen Infusionsschläuchen an – alles in guter Absicht, versteht sich. Offenbar ist ihnen aber nicht recht bewusst, dass sie den Uebertritt gewisser Weichmachermengen in das Blut von Patienten für ein grösseres Uebel halten, als die Patienten ohne die Verabreichung von Blutkonserven oder künstlicher Nahrung ihrem Schicksal zu überlassen. Da vergeht einem schon das Lachen.
Vorteile der Klimaerwärmung
Als noch gefährlicher erscheint mir der in der Klimaschutzpolitik zutage tretende gedankenlose Nihilismus. Denn die EU schickt sich an, für den Kampf gegen den vermutlich unvermeidlichen Klimawandel in Gestalt der Förderung unwirtschaftlicher «erneuerbarer» Energien und des verordneten CO2-Emissions-Handels nicht weniger als 500 Mrd. Euro lockerzumachen. Angesichts des Eifers der amtlichen Weltretter muss der nüchterne Beobachter zum Eindruck gelangen, hier werde der wirtschaftliche Selbstmord aus Angst vor dem Tod vorbereitet, zumal eine mässige Erwärmung der Erde sicher mehr wirtschaftliche und gesundheitliche Vorteile als Nachteile mit sich brächte.
Es ist nicht klar, was die Klimapolitik eigentlich schützen will. Die gegebenen Grenzen zwischen den Klimazonen der Erde? Oder einen globalen Temperaturmittelwert? Woher weiss die politische «Elite», die sich den Klimaschutz auf die Fahnen geschrieben hat, überhaupt, in welche Richtung sich die Durchschnittstemperatur bewegen wird? Aus Modellrechnungen auf Grosscomputern, die davon ausgehen, dass die Erde ein geschlossenes System («Treibhaus») ist?
Im vergangenen Herbst haben die US-Statistiker Gerald Roe und Marcia Baker in der Publikation «Science» (Vol. 318, Seite 582) einen vergleichenden Test aller gängigen Klimamodelle veröffentlicht. Sie kommen dabei zum Schluss, numerische Modell-Läufe der atmosphärischen Zirkulation könnten grundsätzlich nicht herausfinden, ob es in den nächsten 100 Jahren auf der Erde wärmer oder kühler wird. Wir brauchen uns daher mit Details der Klimaprojektionen gar nicht mehr zu befassen. Wie die Zukunft aussehen wird, bleibt wie eh und je eine Glaubenssache.
Der gesunde Menschenverstand weiss seit langem, mit dieser heute von manchen aufgeregten Zeitgenossen als völlig neu empfundenen Situation umzugehen, indem er uns lehrt, nicht alles auf eine Karte zu setzen. Glaubens- und Redefreiheit sowie der Wettbewerb zwischen verschiedenen Problemlösungsansätzen sind die wichtigsten Voraussetzungen der gesellschaftlichen Anpassung an unvorhersehbare Entwicklungen wie Erdbeben oder Klimaverschiebungen. Der Wettbewerb fördert gleichzeitig wirtschaftliches Wachstum und die Schaffung von Wohlstand. Dieser wiederum ist die beste Vorsorge gegenüber Naturkatastrophen und anderen Unbilden. Denn bekanntlich unterscheiden sich die Opferzahlen bei vergleichbar starken Erdbeben in armen und wohlhabenden Ländern in der Regel um einige Grössenordnungen.
Nur provisorische Gewissheiten
Dennoch orientiert sich die Klimaschutzpolitik nicht an diesem bewährten Muster gesellschaftlicher Problemlösung, sondern am scheinbar näherliegenden bürokratischen Ansatz. Einen Wettbewerb verschiedener Herangehensweisen bei der Suche nach den effizientesten, gerechtesten und nachhaltigsten Lösungen kann es hier nicht geben. Das unvoreingenommene Streben nach Wahrheit musste durch die Herstellung eines scheinbaren Konsenses über das Spurengas CO2 als vermeintliche Hauptursache des Klimawandels ersetzt werden, obwohl es keine statistische Korrelation zwischen der CO2-Konzentration und der Temperatur der Luft gibt. Das 1988 von der World Meteorological Organization und dem Umweltprogramm der Uno (Unep) eingesetzte Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) bekam den ausdrücklichen Auftrag, zu demonstrieren, dass der Mensch mit seinen CO2-Emissionen für die leichte Erderwärmung des letzten Jahrhunderts verantwortlich ist. Das allein reicht schon, um das Gremium als politische Einrichtung zu charakterisieren, denn in der Wissenschaft hat der Begriff «Konsens» nichts zu suchen. Hier steht nach Karl Raimund Popper die «Refutation» begründeter Vermutungen (Hypothesen) mit Hilfe intelligenter Experimente und des kritischen Disputs im Mittelpunkt, das heisst gerade nicht die konsensuale Gutheissung und Kodifizierung von Aussagen. Es gibt auch hier nur provisorische Gewissheit.
Gefährliche Ziele
In der Politik hingegen ist Konsens durchaus erwünscht. Seine Grundlage kann aber nur zum geringsten Teil die Wissenschaft liefern. Viel grösseres Gewicht sollte nach Auffassung der Totalitarismus-Kritikerin Hannah Arendt der gesunde Menschenverstand haben. Und dieser verbietet es, alles auf die Karte einer einzigen vermuteten Ursache des Klimawandels zu setzen. Wer das dennoch tut, setzt unseren Wohlstand und damit auch unsere Anpassungsfähigkeit aufs Spiel. Mehr noch: Wer am Ziel festhält, die CO2-Emissionen bis zur Jahrhundertmitte zu halbieren oder, wie vom amerikanischen Ex-Vizepräsidenten Al Gore gefordert, sogar um 90% zu senken, nimmt – bewusst oder unbewusst – den Tod jener Abermillionen von Menschen in Kauf, die infolge der klimapolitisch bedingten Preisexplosion bei Nahrungsmitteln und Energieträgern schlicht überzählig werden.
- Edgar Gärtner ist Hydrobiologe und Autor des Buchs «Oeko-Nihilismus. Eine Kritik der Politischen Oekologie» (ISBN 978-3-00-020598-9).