In der akademischen Welt zumal der USA ist das Wort «Rassismus» in aller Munde. Angesichts seines uferlosen und oft empiriefreien Gebrauchs ist es wichtig, die historischen Tatsachen zu kennen: Der Rassismus nach Hautfarbe entstammt dem arabischen Kulturkreis.
Rassismus hat mit der Hautfarbe nichts zu tun. Viele postmoderne Autoren differenzieren beim Thema Rassismus nicht und benutzen eine definitionslose Terminologie. Claude Lévi-Strauss bezeichnete 1988 den Rassismus als «eine präzise Doktrin, die man in vier Punkten resümieren kann. Erstens: Es existiert eine Korrelation zwischen dem genetischen Erbe einerseits und den intellektuellen Fähigkeiten sowie den moralischen Anlagen anderseits. Zweitens: Dieses Erbe, von dem jene Fähigkeiten und Anlagen abhängen, haben alle Mitglieder bestimmter menschlicher Gruppen miteinander gemein. Drittens: Diese Gruppierungen werden ‹Rassen› genannt und können hierarchisiert werden gemäss ihrem genetischen Erbe. Viertens: Diese Differenzen ermächtigen die sogenannten überlegenen ‹Rassen›, die anderen zu beherrschen, auszubeuten und eventuell zu vernichten.»
Das ist bis jetzt die einzige konsistente Definition. Demnach entspringt der Rassismus aus der in allen Kulturen angelegten Tendenz, die «Anderen» abzuwerten. Verschärfe sich die Vorstellung, die «Anderen» seien defizient, dann werde man ihre Minderwertigkeit in ihrem «Wesen» suchen, letztlich in ihrer «Natur». Dabei kommt der Sklaverei eine massgebliche Rolle zu, denn sie erzeugt derartig grosse soziale und habituelle Differenzen, dass es unmöglich ist, diese irgendwie zu kompensieren. Automatisch ergibt sich dann die Vorstellung, die Versklavten seien minderwertige Wesen, quasi einer anderen Gattung zugehörig. Claude Meillassoux und Orlando Patterson haben 1982 herausgearbeitet, dass dieser Rassismus überall grassierte, wo die Sklaverei dauerhaft die Menschen aufspaltete, in Afrika ebenso wie in Asien oder Europa.
Rassismus ohne Hautfarbe
Auch in der griechischen Antike bei Aristoteles finden wir die Lehre, wonach zwischen bestimmten menschlichen Ethnien in wesentlichen Hinsichten – intellektuell und moralisch – eine tiefe Ungleichheit von Natur besteht. Bezeichnenderweise blieb diese Lehre vom «Sklaven von Natur» in der Antike marginalisiert; das römische Recht formulierte explizit den Grundsatz, alle Menschen seien von Natur aus gleich.
Der Rassismus des Sklaven von Natur existierte auch anderswo, hatte allerdings keinen Bezug zur Hautfarbe. Als der chinesische Kaiser Knoli Chisu um 1300 das System der Sklaverei reformieren wollte, protestierte der koreanische König Chungnyol: «Unsere Ahnen haben uns gelehrt, dass diese sklavischen Wesen einer anderen Rasse angehören und es ihnen daher unmöglich ist, normale Menschen zu werden. Der Lehre unserer Vorfahren zuwiderhandeln hiesse unsere soziale Ordnung gefährden.» Der König sprach von jenen rund 30 Prozent Koreanern, die in seinem Land versklavt waren und so aussahen wie er selbst.
Wie kam die Hautfarbe ins Spiel? Hellenistische Geografen meinten, die natürlichen Unterschiede zwischen den Ethnien seien auf die Klimazonen der Erdkugel zurückzuführen. Gemäss dieser Klimatheorie ist die «rote» Hautfarbe die Norm, weil sie sich einem «mittleren» Klima verdanke, hingegen seien Kelten und Germanen in der nördlichen Kälte «weiss» geworden, und ein zu warmes Klima habe die Ägypter und Mauretanier «braun» gemacht, die Nubier, Äthiopier und Inder sogar «schwarz».
Diese Farbskala zeigte jedoch keine Ungleichheit von Natur an. Der gesamten klassischen Antike war die Vorstellung fremd, dass dunkelhäutige Menschen minderwertig seien. Die bildende Kunst stellte bis in die späteste Zeit die Dunkelhäutigen als ebenbürtige Menschen dar. Im Vorderen Orient hingegen bestand schon früh eine ästhetische und erotische Präferenz für die helleren Hautfarben; allerdings sind solche Präferenzen nicht rassistisch, weil sie nicht automatisch eine naturgegebene intellektuelle und moralische Minderwertigkeit behaupten.
Wie Bernard Lewis 1971 nachgewiesen hat, ist der hautfarbene Rassismus eine arabische Innovation. Im Gefolge der arabischen Eroberungen übernahmen islamische Denker hellenistische Klimatheorien; sie gebrauchten die Farben Schwarz‚ Rot/Hellbraun und Weiss, um ganze Ethnien in eine rassenmässige Hierarchie zu bringen; damit schufen sie eine neue «wissenschaftliche» Rassenlehre.
Ein Anonymus aus dem Irak (um 902 n. Chr.) schreibt, in der kalten Klimazone erleide der Fötus schon im Mutterleib schwere Schäden und werde zu einem defizienten Menschen; in der heissen Klimazone hingegen würden die Kinder im Mutterleib zu lange «gekocht»: «so dass das Kind zwischen schwarz und dunkel gerät, zwischen übelriechend und stinkend, kraushaarig, mit unebenmässigen Gliedern, mangelhaftem Verstand und verkommenen Leidenschaften, wie etwa die Zanj, die Äthiopier und andere Schwarze, die ihnen ähneln». Eine persische geografische Abhandlung (982 n. Chr.) behauptet: «Was die Länder des Südens angeht, so sind alle ihre Einwohner schwarz (. . .) Es sind Leute, die dem Massstab des Menschseins nicht genügen.» Desgleichen notiert der Geograf Makdisi (10. Jahrhundert) über Ostafrikaner südlich Äthiopiens: «Was die Zanj angeht, so sind es Menschen von schwarzer Farbe, flachen Nasen . . . und geringem Verstand oder geringer Intelligenz.»
Trichotomischer Rassismus
Bernard Lewis hat darauf hingewiesen, dass wir es hier zumeist nicht mit einem dichotomischen Rassismus (schwarz/weiss) zu tun haben, sondern mit einem trichotomischen: Zwei minderwertige Rassen (schwarz und weiss), beheimatet in den extremen Klimazonen, stehen einer hochwertigen (rot oder hellbraun) in der «mittleren» Zone gegenüber. Demgemäss galten auch Türken, Slawen und Chinesen als «weisse» und daher minderwertige Rassen. Die islamische Philosophie übernahm diesen hautfarblichen Rassismus.
Der grosse Avicenna versicherte, extremes Klima produziere «Sklaven von Natur»: Türken und Schwarze seien solche. Im «Liber Canonis» – einer wichtigen Schrift für das Studium der Medizin an abendländischen Universitäten – wiederholt er, die Schwarzafrikaner seien intellektuell minderwertig. Auch im islamischen Spanien grassierte die klimatologische Rassentheorie; so lehrte Said al-Andalusi (gestorben 1070): «Der lange Aufenthalt der Sonne am Zenit macht (. . .) ihr Temperament heiss, ihr Gemüt feurig, ihre Farbe schwarz und ihr Haar wollig. Also fehlt ihnen Selbstkontrolle und Beständigkeit des Geistes; darum werden sie von Launigkeit, Dummheit und Ignoranz überwältigt. So sind die Schwarzen, welche an den Grenzen des Landes Äthiopien leben, ferner die Nubier, die Zanj und Ähnliche.»
Die islamische Orthodoxie, nicht anders als die jüdische und die christliche, war antirassistisch und hatte die natürliche Gleichheit der Menschen zum Axiom – ebenso wie das römische Recht. Sklaverei ist eine Strafe für die Ungläubigen, so lautet die offizielle Lehre der islamischen Kleriker, sie ist nicht Folge von rassischer Minderwertigkeit. Aber Philosophen und Gelehrte hielten dagegen. So lesen wir bei Ibn Khaldun (gestorben 1406): «Daher sind in der Regel die schwarzen Völker der Sklaverei unterwürfig, denn (sie) haben wenig Menschliches und haben Eigenschaften, die ganz ähnlich denen von stummen Tieren sind.»
Auch jüdische Gelehrte im islamischen Raum übernahmen diesen Rassismus. So Jehuda Halevi (gestorben 1141) und vor allem Maimonides (gestorben 1204), der in seinem «Führer der Verwirrten» über die Türken im Norden und die Schwarzen im Süden urteilte: «Sie sind nicht auf der Stufe des Menschseins; ihre Stufe innerhalb der Ordnung des Seienden ist unterhalb jener des Menschen und oberhalb jener des Affen.» Erstmals in der islamischen Welt entstanden Handbücher für den Sklavenkauf, welche rassische Eigenschaften spezifizierten; diese Bücher verschafften der medizinischen und philosophischen Rassenlehre Eingang in den Alltag und eine alltägliche Plausibilität. Die Herkunft des Wortes «Rasse» aus dem Arabischen darf uns nicht verwundern: «razza», «raza» und «race» sind abgeleitet von «ras», was «Kopf» bedeutet. Erst fünf Jahrhunderte später gelangte dieser klimatheoretisch begründete, «szientistische» Hautfarbenrassismus zu den Europäern, was vor allem auf den Einfluss von Avicennas medizinischen Schriften zurückzuführen ist.
Die Verfluchung Hams
Eine zweite Traditionslinie bildet die Verfluchung Hams. Die rabbinische Tradition rechtfertigte die Sklaverei mit jenem Fluch, den Noah über seinen Enkel Kanaan verhängte, um seinen Sohn Ham zu strafen (Genesis 9,25). Der Fluch machte die Kanaaniter zu differenten Menschen, verdammt zur Sklaverei. Doch nicht eine defiziente Natur konstituiert die Differenz, sondern ein Fluch, der sich vermittels der Natur – nämlich der Fortpflanzung – vererbt. Die moralische und geistige Minderwertigkeit der Kanaaniter ist also gar nicht nötig, um sie für «Sklaven von Geburt» zu halten.
Damit gelangt die Konzeption des «Rassismus» an eine logische Grenze. Allerdings erwähnt die Bibel Hams Hautfarbe nicht. Zudem ist nicht Kanaan der Stammvater der Schwarzen, sondern sein Bruder Kusch; doch just Kusch wird nicht verflucht. Der Wortlaut macht es also unmöglich, den Fluch Noahs auf die Schwarzen zu beziehen. Doch die Exegese ging ganz eigene Wege. David Goldenberg hat 2005 nachgezeichnet, wie der Fluch im Nahen Osten und vor allem in der islamischen Welt einen Hautfarbenrassismus forciert hatte.
Ein rabbinischer Kommentar des 3. Jahrhunderts brachte die Version auf, Gott habe Noahs Sohn Ham mit schwarzer Hautfarbe gestraft. Das übernahmen islamische Autoren. So erzählt Ibn Kutayba (gestorben 889): «Ham, Sohn des Noah, war hellhäutig und schön. Dann veränderte Gott sein Aussehen und das seiner Nachkommen wegen des Fluches seines Vaters (. . .) Hams Söhne waren Kusch, Kanaan und Phut. Phut siedelte in Indien und Sind, dessen Einwohner seine Nachkommen sind; Kusch und Kanaan (sind die Erzeuger) des Sudan, der Nubier, der Zanj (. . .), Äthiopier, Kopten und der Berber.» Die strafweise Verfärbung Hams und seiner Nachkommen wurde in der islamischen Tradition dominant, obwohl korankundige Gelehrte sie ablehnten, so etwa der schwarzafrikanische Gelehrte Ahmad Baba in seiner berühmten Fatwa zur Sklaverei (1614). Sogar diese Fatwa war vergeblich; die rassische Version des Fluches über Ham hatte ihre diskursive Wirkung in der grössten Sklavenhaltergesellschaft der Geschichte längst entfaltet.
Die historischen Tatsachen kennen
Im westlichen Christentum diente Noahs Fluch dazu, die Leibeigenschaft zu rechtfertigen; eben deswegen war er heftig umstritten. Mit den Schwarzen hatte der Fluch nichts zu tun. Die Szene, in welcher Noah den Fluch ausspricht, findet sich auf vielen bildlichen Darstellungen; keine einzige – von der Spätantike bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts – zeigt einen dunkelhäutigen Ham. Die hautfarbenbezogene Version des Fluches gelangte um die Mitte des 15. Jahrhunderts nach Europa, als die Portugiesen sich in den islamischen Sklavenhandel an der westafrikanischen Küste einklinkten. In der «Crónica da Guiné» berichtet Gomes de Zurara 1444, dass die muslimischen Sklavenjäger in Senegambia ihr Tun rechtfertigten mit Noahs Fluch über die Schwarzen.
Die «schwarze» Version des Fluches spielte in den grossen spanischen Debatten des 16. Jahrhunderts über Legitimität und Illegitimität des Versklavens keine Rolle; kein offizielles Dekret der katholischen Kirche zur Sklaverei hat sie je zitiert. Anders im Protestantismus. Als die karibische Sklaverei in der Mitte des 17. Jahrhunderts zu einer schwarzen Sklaverei wurde, übernahmen protestantische Apologeten der Sklaverei die islamische Version des Fluches. Diese Rezeption ist deswegen paradox, weil ihre Bibelfestigkeit gerade Protestanten hätte nötigen müssen, sich an den Wortlaut von Genesis 9,25 zu halten.
Angesichts der Abnahme des begrifflichen Differenzierens in der akademischen Welt und eines uferlosen Gebrauchs des Wortes «Rassismus» ist es dringlich geworden, nicht länger die historischen Tatsachen zu ignorieren. Solange Wissenschafter sich an der Leitidee der Wahrheit orientieren, ist es ein intellektuelles Vergehen, die Tatsachen in der universitären Lehre zu unterdrücken und die entsprechenden Bücher in den Bibliotheken auszusondern. Wir alle, insbesondere die Kulturwissenschaften, haben uns darauf zu besinnen, was der Hautfarbenrassismus ist und woher er stammt. Denn die Erkenntnis hilft uns, ihm entgegenzutreten.
Egon Flaig, Jahrgang 1949, ist emeritierter Professor für alte Geschichte an der Universität Rostock. Zuletzt veröffentlichte er 2017 im Verlag zu Klampen den Band «Die Niederlage der politischen Vernunft. Wie wir die Errungenschaften der Aufklärung verspielen».