Gesucht: Klimaschäden in armen Ländern
«Loss and Damage»
Gesucht: Klimaschäden in armen Ländern
Nebelspalter, Alex Reichmuth, 1.12.2022
An der vergangenen Klimakonferenz in Ägypten war es wohl das am intensivsten diskutierte Thema: der Entschädigungsfonds unter dem Titel «Loss And Damage» («Schäden und Verluste»), über den arme Staaten für erlittene Klimaschäden abgegolten werden sollen. Zwar ist noch unklar, welche Länder wieviel in den Fonds einzahlen, und nach welchem Verteilerschlüssel welche Staaten Zahlungen erhalten. Dass der Fonds aber kommen soll, hat die Weltgemeinschaft an der COP27 in ihrer Abschlusserklärung bekräftigt (siehe hier).
Es geht also darum, negative Folgen der Erderwärmung finanziell abzugelten. Zur Kasse kommen vor allem die Industriestaaten, die wegen ihres historisch akkumulierten CO₂-Austosses für solche Schäden hauptsächlich verantwortlich sein sollen. Mit Schäden sind in erster Linie Todesopfer und wirtschaftliche Verluste infolge von Extremwetterereignissen und schlechteren Umweltbedingungen gemeint. Voraussichtlich geht es um den Transfer von Hunderten von Milliarden Dollar.
Was wichtig ist:
-
An der Klimakonferenz in Ägypten wurde beschlossen, dass arme Länder für erlittene Klimaschäden finanziell entschädigt werden sollen.
-
Bis jetzt gibt es aber keine Anzeichen, dass Extremwetterereignisse und schlechtere klimatische Bedingungen zu mehr Schäden und Verlusten führen.
-
Dem vorgesehenen internationalen Ausgleichsfonds für Schäden und Verluste fehlt somit die Basis.
An der Klimakonferenz wurde stillschweigend davon ausgegangen, dass die Erderwärmung tatsächlich zu extremerem Wetter und so zu mehr Schäden und Verlusten führt. So suggerieren es auch zahlreiche Medien fast ohne Ende. Nur: Bis jetzt gibt es keine Anzeichen, dass der Klimawandel tatsächlich mehr und schlimmere Extremwetterereignisse gebracht hat.
Kein Trend zu mehr klimabedingten Katastrophen
Zum einen gibt es keinen Trend, dass klimatisch bedingte Katastrophen häufiger werden. Ein Wissenschaftlerteam um den italienischen Forscher Gianluca Alimonti kam darum anfangs dieses Jahres im Fachmagazin «The European Physical Journal Plus» zum Schluss, dass «die Klimakrise, die wir gemäss vielen Quellen erleiden, noch nicht nachweisbar ist» (siehe hier und hier).
Die Autoren hatten eine grosse Zahl aktueller Studien zu Tendenzen bei Naturkatastrophen in den letzten Jahrzehnten ausgewertet. So ist zwar ein Trend zu mehr Hitzewellen nachweisbar, aber keiner zu mehr Dürren. Es gibt in den letzten fünfzig Jahren weder mehr extreme Niederschläge, mehr Stürme oder mehr Überschwemmungen.
Australische und amerikanische Forscher um Savin Chand haben in diesem Sommer im Fachblatt «Nature Climate Change» gezeigt, dass die Zahl der tropischen Stürme (Hurrikane, Taifune, Zyklone) langfristig sogar abgenommen hat (siehe hier). Im Zeitraum von 1901 bis 2000 resultierte eine Abnahme um 13 Prozent gegenüber dem Zeitraum von 1850 bis 1900. Betrachtet man nur die Jahrzehnte ab 1950, beträgt die Abnahme gegenüber der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts satte 23 Prozent .
Starke Abnahme von Todesfällen wegen Extremwetter
Aufschlussreich ist auch die Internationale Disaster Datenbank der Universität Louvain in Brüssel (EM-DAT), in der sämtliche Naturkatastrophen aus der ganzen Welt seit 1900 verzeichnet sind (siehe hier). Wie der amerikanische Umweltwissenschaftler Roger Pielke jr. aufgrund der Daten ermittelt hat, ging die Zahl der Wetter- und Klimakatastrophen in den letzten zwanzig Jahren insgesamt sogar um rund zehn Prozent zurück (siehe hier).
Die Zahl der Wetter- und Klimakatastrophen ging in den letzten zwanzig Jahren um rund zehn Prozent zurück. Quelle: EM-DAT / R. Pielke jr.
Die Menschen sind auch immer besser in der Lage, sich vor Extremwetter und Klimakatastrophen zu schützen. So hat die Zahl der Todesfälle wegen Stürmen, Extremtemperaturen, Überschwemmungen, Erdrutschen, Dürren und Bränden in den 2010er-Jahren verglichen mit den 1920er-Jahren um atemberaubende 96 Prozent abgenommen (siehe hier). Berücksichtigt man, dass die Weltbevölkerung in dieser Zeit um fast das Vierfache gestiegen ist, resultiert sogar eine Abnahme um 99 Prozent.
Keine Tendenz zu einem höheren Anteil an materiellen Schäden
Dieser Trend geht auch in jüngster Zeit weiter: Vor drei Jahren kamen die italienischen Wissenschaftler Giuseppe Formetta und Luc Feyen im Fachmagazin «Global Environmental Change» zur Erkenntnis, dass die globale Sterblichkeit infolge Wetterkatastrophen im Zeitraum von 2007 bis 2016 im Vergleich zum Zeitraum von 1980 bis 1989 um Faktor 6,5 zurückgegangen ist (siehe hier).
Der Klimawandel führt auch nicht zu immer schlimmeren materiellen Schäden. Zwar sind die finanziellen Verluste infolge von Extremwetterereignissen in den letzten Jahrzehnten anerkannterweise gestiegen. Das ist aber darauf zurückzuführen, dass es immer mehr Menschen gibt, und diese Menschen immer wohlhabender sind – also mehr Werte wie Gebäude, Fahrzeuge oder landwirtschaftliche Kulturen besitzen, die geschädigt werden können. Die Inflation täuscht zudem über die Zunahme wirtschaftlicher Schäden hinweg.
Aufschlussreich sind hierzu wiederum Daten der EM-DAT. Diese zeigen, dass es zwischen 2005 und 2021 keinen Trend gibt, was den Anteil der materiellen Verluste durch Wetter- und Klimakatastrophen am Bruttosozialprodukt angeht. Dieser beträgt im Mittel gleichbleibend 0,2 Prozent. Die Zahl der Menschen, die von Katastrophen betroffen sind, hat in dieser Zeit gemäss EM-DAT gar um 46 Prozent abgenommen (siehe hier).
«Follow the science»
Die erwähnte Studie von Formetta und Feyen kam sogar zum Schluss, dass die globale Verlustrate wegen wirtschaftlicher Schäden infolge Wetterkatastrophen zwischen 1980 und 2016 um den Faktor fünf abgenommen hat. Die Europäische Umweltagentur (EEA) hat im letzten Winter festgestellt, dass es zumindest für Europa in den vergangenen vierzig Jahren keinen klaren Trend bezüglich ökonomischer Verluste infolge Extremwetter gibt (siehe hier). In Europa haben entsprechende materielle Schäden also selbst in absoluten Zahlen nicht zugenommen.
Trotz Ereignissen wie die Überschwemmungen in Pakistan in diesem Jahr: Global hat der Anteil der Klimaschäden am Bruttosozialprodukt nicht zugenommen. Bild: Keystone
Dem vorgesehenen internationalen Ausgleichsfonds für Schäden und Verluste fehlt also die Basis. Die deutsche «Welt» titelte schon vor zwei Jahren: «Die Mär von den Klimawandel-Unwettern» (siehe hier).
Man müsste den Verhandlern an den Klimakonferenzen zurufen: «Follow the science» – folgt der Wissenschaft! Denn die erwähnten Resultate sind in Übereinstimmung mit den Ergebnissen des Weltklimarats. Dieser hat schon in seinem fünften Sachstandsbericht von 2013 die Warnung vor einer Häufung gefährlicher Tropenstürme gestrichen und festgehalten, dass bislang kein Einfluss des Klimawandels auf globale Schäden durch Wetterkatastrophen feststellbar sei (siehe hier).
Starke Zunahme der landwirtschaftlichen Erträge
Natürlich müssen klimabedingte Schäden nicht in jedem Fall auf Extremwetterereignisse zurückzuführen sein. Möglich wäre auch, dass die Erderwärmung etwa die Bedingungen in der Landwirtschaft graduell verschlechtert und so zu finanziellen Einbussen führt.
Doch auch hier gibt es Entwarnung: Gemäss der eingangs zitierten wissenschaftlichen Arbeit des Teams um Gianluca Alimonti konnten die weltweiten landwirtschaftlichen Erträge zwischen 1961 und 2019 jedes Jahr um 2,4 bis 3,8 Prozent gesteigert werden (siehe hier). Gemäss den Forschern hat vor allem der technologische Fortschritt zu diesem gewaltigen Erfolg beigetragen. Ein wichtiger Grund war zudem der Düngeeffekt infolge des steigenden CO₂-Gehalts in der Atmosphäre. Wenn schon, müssten die Bauern im globalen Süden den Industrieländern dankbar sein, dass diese so viele fossile Brennstoffe verbrannt haben – statt auf Abgeltungen über den «Loss and Damage»-Fonds zu warten.
Alimonti und seine Fachkollegen kommen in ihrer Arbeit zu einer klaren Empfehlung, was den Umgang mit dem Klimawandel angeht. «Wir sollten unseren Kindern den Staffelstab überlassen, ohne sie mit der Angst zu belasten, dass wir uns in einem Klimanotstand befinden.» Das würde die Kinder in die Lage versetzen, «die zahlreichen Probleme der heutigen Zeit, zum Beispiel Energie, Landwirtschaft, Ernährung und Gesundheit, mit einem objektiveren und konstruktiveren Geist anzugehen».