James Shikwati kritisiert im Interview die Entwicklungshilfe
«Die ausländische Hilfe besetzt den Raum, der eigentlich von afrikanischen Denkern oder Politikern besetzt sein sollte»
James Shikwati ist einer der profiliertesten Ökonomen Afrikas und ein harscher Kritiker der Entwicklungshilfe der letzten Jahrzehnte. Weshalb Europa die Afrikaner braucht, erklärt er im Gespräch.
NZZ, Markus Ziener 13.6.2019
Sie sind bekannt als harscher Kritiker ausländischer Hilfe für Afrika. Vor Jahren sagten Sie: Wer Afrika helfen will, darf kein Geld geben. Was läuft falsch bei der Hilfe?
Afrika ist ein Kontinent mit 1,2 Milliarden Menschen. Und dieser Kontinent ist vor allem ein Ziel für Hilfe, während andere Kontinente Orte für Investments sind. Aber wenn Afrika stets nur als Ort für Hilfe wahrgenommen wird, dann reduziert das die Möglichkeit, dass Afrika den Umgang mit seinen Ressourcen optimiert. Gedacht wird so: Wir, der Westen, gehen nach Afrika, um die Dinge dort in Ordnung zu bringen. Wenn man aber immer nur von Hilfe spricht, dann impliziert das, dass die eine Seite nur gibt, dass sie alle Antworten hat und dass die andere Seite nichts zurückgeben muss. Das aber ist nicht normal. Es gibt doch immer ein Geben und Nehmen im Leben. Würde man also anfangen, die jeweiligen Leistungen zu bemessen, so dass man weiss, wie viel man gibt und wie viel dabei herauskommt, dann ist das keine Einbahnstrasse mehr. Dann wird daraus ein Investment.
Aber es gibt ja einiges an Investment . . .
. . . aber doch bei weitem nicht genug. Das ist ja genau das Problem. Für potenzielle Investoren sind wir ein Kontinent, der in die Kategorie Hilfe fällt – und das ist dann Sache staatlicher Entwicklungseinrichtungen, wie in Deutschland der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Wenn es ums Geschäft und um Rendite geht, wenden sich die Investoren aber lieber Asien zu. Das genau ist es, was die Entwicklungshilfe der letzten fünfzig Jahre zustande gebracht hat. Dass unsere alten Freunde in Europa denken: Okay, das ist eine Region, der geholfen werden muss, und wenn es ums Investieren geht, dann orientieren wir uns anderswo hin.
Welche Rolle spielen staatliche Entwicklungseinrichtungen dabei?
Sie kreieren Problembäume, ein Organigramm mit all den Problemen, die zu lösen sind. Aber wenn eine private Firma einen solchen Problembaum sieht, dann wird sie sagen: Da gehe ich nicht hin. Dieser Ort ist ja voller Probleme. Wenn sich aber eine Firma für ein Investment in Afrika interessiert, dann sollten wir nicht den Problembaum präsentieren, sondern darlegen, welche Geschäfte möglich sind. Die Entwicklungsorganisationen präsentieren viel zu wenig die Chancen, die es in Afrika gibt, und konzentrieren sich viel zu sehr auf die Probleme Afrikas.
Hat die Hilfe für Afrika, die seit Jahrzehnten gegeben wird, mehr Schlechtes als Gutes bewirkt?
Ja, das kann man so sagen. Durch die Hilfe wurde tatsächlich mehr Schlechtes als Gutes erreicht. Warum? Weil die ausländische Hilfe den Raum besetzt hat, der eigentlich von afrikanischen Denkern, Experten, Politikern selbst besetzt sein sollte. Die ausländische Hilfe wurde zu einem Instrument der afrikanischen Politik, anstatt dass Möglichkeiten geschaffen wurden, dass sich afrikanische Strukturen selbst entwickeln.
Und der Westen gibt nur Geld, um sein Gewissen zu beruhigen und um nachts besser schlafen zu können?
James Shikwati. (Bild: PD)
Es geht weniger darum, dass der Westen besser schlafen kann. Es geht vielmehr darum, dass der Westen noch immer in den Mustern der Vergangenheit verhaftet ist. Wenn dann ein chinesischer Investor kommt, der frisch denkt, der Geld verdienen will und der nicht die Absicht hat, irgendjemanden zu zivilisieren, dann sind die Partner auf der afrikanischen Seite erst einmal ziemlich überrascht. Das chinesische Engagement macht vielleicht auch den Europäern klar, dass ihr Hilfeansatz für Afrika nicht mehr passt. Die Chinesen geben keine Hilfe. Sie investieren in Infrastruktur und sagen den Afrikanern: Das gibt es nicht umsonst. Wir wollen, dass ihr zurückzahlt. Das Problem ist, dass es die Chinesen auf der afrikanischen Seite zumeist mit Leuten zu tun haben, die gedanklich weiterhin in der Hilfekategorie verhaftet sind.
Und weshalb ist das so?
Weil wir nicht geschult sind. Wir wissen nicht, wie wir mit realen Investments umgehen sollen.
Das ist aber nicht den Chinesen anzulasten . . .
Afrika braucht schlichtweg ein besseres Management. Viele afrikanische Länder befinden sich noch immer im Stadium des «nation building» – und mancher Führer einer Nation verwendet das Investment aus China eher für eigene politische Zwecke. Richtig ist, dass viele der chinesischen Investitionen in die Infrastruktur fliessen – und genau das braucht Afrika ja, um sich zu entwickeln.
Oft bringen die Chinesen für ihre Projekte auch gleich ihre eigenen Arbeiter mit. Profitiert da Afrika überhaupt von dem Investment, oder ist das nicht vielmehr eine andere Form von Kolonialismus?
Manchmal sind Fristen eng, und dann hat das zudem auch Sinn. Und das als koloniales Verhalten zu bezeichnen, finde ich nicht fair. Die Europäer hatten afrikanische Arbeitskräfte entweder vor Ort ausgebeutet oder versklavt und verschickt. Sie entsandten keine eigenen Leute, um auf Zucker-, Kautschuk- oder Baumwollplantagen zu arbeiten.
Chinas Präsident Xi Jinping mit dem südafrikanischen Präsidenten Cyril Ramaphosa und dem Präsidenten von Senegal, Macky Sall, an einem Treffen in Peking 2018. (Bild: Lintao Zhang / Getty )
Glauben Sie, dass Afrika seinen gerechten Anteil an der Ausbeutung der Ressourcen erhält?
Afrika muss lernen, besser zu verhandeln. Etwas, im Übrigen, das sie in den letzten Jahrzehnten mit den Europäern nicht üben mussten. Der Druck ist gut – und das Engagement der Chinesen erzeugt eine völlig neue Dynamik im Markt.
Dann hat also die Hilfe aus dem Westen die falschen Strukturen gefestigt?
Ja. Es gibt von den Europäern gesetzte Strukturen und dann jene, die darauf von Afrikanern aufgebaut wurden. Und diese beiden spielen zusammen und erzeugen eine Vetternwirtschaft. Da ist eine Art Schattenregierung entstanden, die von den Europäern genährt wurde und die eine politische Elite hervorgebracht hat.
Die Flüchtlingskrise hat das Augenmerk international auf die schwierige Situation in Afrika gerichtet. Kann das langfristig auch etwas Gutes bewirken?
Es ist unglaublich traurig für Afrika, all diese Menschen zu verlieren. Schauen wir uns die Flüchtlinge auf den Booten an. Das sind Leute, die haben eine gewisse finanzielle Reserve, die sie angespart haben und die sie für die Flucht einsetzen. Und sie sind bereit, ein Risiko auf sich zu nehmen. Sie machen sich für das Versprechen auf eine bessere Zukunft auf den Weg. Das zeigt eine Geisteshaltung, die einzigartig ist und auf die sich aufbauen lassen sollte. Diese Bereitschaft, ein immenses Risiko einzugehen, muss in etwas Positives gewendet werden.
Europa benötigt Arbeitskräfte, gerade Deutschland . . .
Ja, ich bin sogar fest überzeugt, dass die Europäer die Afrikaner brauchen. Aber auf der Seite Europas gibt es hier einen gewissen Grad an Unehrlichkeit. Europa sollte uns deshalb einfach sagen, welche Leute aus Afrika es will. Aber wahrscheinlich aus moralischen Gründen haben die Europäer Angst, sich klar zu äussern. Also: Wenn ihr Leute mit bestimmten Fertigkeiten und Kenntnissen braucht, o. k., dann sagt uns das, und wir werden schauen, dass wir die Strukturen schaffen, damit ihr die richtigen Leute bekommt.
. . . und Afrika verliert seine besten Köpfe?
Die Geschichte zeigt uns doch, dass ein solcher «brain drain» oft am Anfang von positiven Entwicklungen stand. Denken Sie an die vielen Menschen, die Europa an die USA oder auch Australien verloren hatte. Oder etwa auch die vielen Asiaten, die im Ausland arbeiten. In der Rückkopplung mit ihrer Heimat haben sie ihren Herkunftsländern am Ende Fortschritt gebracht. Was ich meine: Wenn es klare Regelung für die Einwanderung nach Europa gäbe, dann könnten viele Leben gerettet werden, die derzeit im Mittelmeer verloren gehen.
Sie wünschen sich eine Green Card für Afrika?
Sozusagen. Aber das ist nicht nur eine Einbahnstrasse. Europäische Firmen suchen ja dringend nach Fähigkeiten und Kooperationen, etwa auch in Indien. Bei Afrika heisst es dann aber immer: Ihr seid noch nicht so weit. Dabei ist das doch genau der Punkt. Wenn wir nicht irgendwann anfangen, dann werden wir nie bereit sein. Wer kauft denn eure schönen Autos und Maschinen? Das wird doch nicht alles von den Deutschen gekauft. Euch geht es gut, weil irgendjemand eure Mercedes in Afrika oder China kauft. Wenn das aber nicht mehr passiert, dann bleibt ihr auf euren Sachen sitzen.
Interview: Markus Ziener
Der kenyanische Ökonom James Shikwati (48) wurde 2008 vom World Economic Forum (WEF) in die Gruppe der «global leader» aufgenommen. Er ist Direktor des Think-Tanks Inter Region Economic Network in Nairobi.