NZZ: Dürre in Europa: Zwei Studien liefern konträre Aussagen
Herbstliche Farben schon im August. Auch in der Schweiz setzte der trockene Sommer des Jahres 2018 den Bäumen zu.
Sven Titz, 31.03.2021
Auf den Feldern vergilbten die Pflanzen, manche Seen und Flussbetten trockneten aus: Mitteleuropa litt in den Jahren 2015 bis 2018 wiederholt unter extremer Trockenheit. Kürzlich berichteten nun Forscher, diese Dürreperioden seien so stark gewesen wie noch nie in den vergangenen 2000 Jahren.
Die Studie , die im Fachmagazin «Nature Geoscience» publiziert wurde und viel Aufsehen erregte, stammte von einem Team um Ulf Büntgen, der an der University of Cambridge arbeitet.1 Doch vier Tage später erschien im Journal «Communications Earth & Environment» eine Studie mit ganz anderem Tenor: Die Trockenperioden der letzten Jahre in Mitteleuropa seien nicht intensiver gewesen als die im vergangenen Jahrtausend, erläuterte eine Gruppe um Monica Ionita vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven.2
Klimaforscher waren verdutzt und fragten, wer nun recht habe. Die Mediennutzer erfuhren davon in der Regel nichts. Über die zweite Studie berichteten Journalisten kaum.
Wie sind die beiden Forschergruppen vorgegangen? Das Team um Büntgen analysierte bis zu 2100 Jahre altes Eichenholz, hauptsächlich aus Tschechien, um den Grad der Feuchtigkeit in dieser Region zu rekonstruieren. Das Material stammte von organischen Überresten, archäologischen Funden, historischen Gebäuden und von noch lebenden Bäumen. Oft wird die Breite von Baumringen ausgewertet, um das Klima zu rekonstruieren. Büntgens Team nutzte eine andere Methode: Wie feucht es früher war, errechneten die Forscher aus dem Gehalt des Holzes an O-18, einem Sauerstoff-Isotop, und C-13, einem Kohlenstoff-Isotop. Demnach heben sich die Sommerdürren seit 2015 deutlich von den Schwankungen der Vergangenheit ab.
Die Gruppe um Ionita untersuchte Dürren in einem grösseren mitteleuropäischen Gebiet. Es umfasst Deutschland, Tschechien, Österreich, die Schweiz und benachbarte Regionen. Die Forscher nahmen mehrere Datensätze unter die Lupe: eine frühere Rekonstruktion von Dürren, die anhand von Baumringen angefertigt worden war, aber auch historische Dokumente, in denen Wasserpegel und Temperaturen notiert worden waren, sowie weitere Datenquellen. Ihr Fazit: In der Vergangenheit habe es deutlich stärkere Trockenperioden gegeben als in jüngster Zeit. Die Trockenheit der letzten Jahre zeichnet sich laut Ionita vor allem dadurch aus, dass die Verdunstung durch Hitze eine grössere Rolle gespielt hat als früher. Die Autoren machen auf zwei besonders lang anhaltende Dürren aufmerksam – die eine von 1440 bis 1480, die andere von 1770 bis 1840.
Eine Debatte über Methoden
Die beiden Studien unterscheiden sich deutlich: Das Team um Büntgen nutzte eine andere Methode, untersuchte einen längeren Zeitraum und konzentrierte sich auf ein kleineres Gebiet als Ionitas Team. Umfassende Daten aus ganz Europa wertete keine der beiden Gruppen aus.
Forscher sind sich noch nicht einig, wie sich frühere Dürren am besten rekonstruieren lassen. Das spiegelt sich in der Debatte über die beiden Studien wider. Ionitas Gruppe stützte sich teilweise auf die Analyse von Baumringen. Schmale Ringe gelten als Indiz für Trockenheit. Büntgen weist aber darauf hin, dass die Ringe auch wegen Kälte schmaler werden. Diese Gefahr einer Fehlinterpretation trete bei den Isotopen nicht auf. Darauf angesprochen, erwidert Ionita, in ihrer Studie sei die Intensität früherer Dürren keineswegs wegen kalter Bedingungen überschätzt worden. Ihr Team habe sich auch auf andere Datenquellen als auf Baumringe gestützt.
Das Problem der Stabilität
Ob die trockenen Sommer seit 2015 aus dem Rahmen fallen oder nicht, hängt stark davon ab, wie die Forscher den Langzeittrend einschätzen. In Ionitas Studie ist keine Tendenz zu erkennen. Büntgen hingegen hat einen Trend zu immer mehr Trockenheit gefunden. Doch in diesem Zusammenhang werfen die Dürren der letzten Jahre ein Problem auf. In Büntgens Rekonstruktion wird ihre Intensität überschätzt. Direkte Messdaten hingegen beweisen, dass es in Tschechien um 1990 herum stärkere Trockenperioden gegeben hat als seit 2015. Folglich gilt die Behauptung, die Sommerdürren seit 2015 seien in den letzten 2000 Jahren einzigartig, nur, wenn man die Feuchtigkeit anhand der Isotopenanalyse rekonstruiert.
Vorbehalte kommen auch von Fachleuten, die nicht an den Studien beteiligt waren, etwa von Alienor Lavergne vom Imperial College London und Isabel Dorado von der Universidad Politécnica de Madrid. Sie zweifeln daran, dass der Zusammenhang zwischen den Isotopenwerten und der Dürreintensität, der in Büntgens Studie verwendet wurde, zeitlich stabil ist. Es sei schwierig, dies anhand der Daten einzuschätzen, und stelle darum eine grosse Unsicherheit dar. Doch auch bei den Baumringen gibt es bekanntermassen ein Problem mit der Langzeitstabilität.
Wie aussergewöhnlich sind die Dürren der letzten Jahre im historischen Vergleich wirklich? Der Disput um die beiden Studien zeigt, dass Klimaforschern die Antwort immer noch schwerfällt. Die Ungewissheit bei den Rekonstruktionen ist einfach zu gross. Um künftige Analysen auf eine breitere Grundlage zu stellen, versuchen Büntgen und Ionita zurzeit, Daten aus anderen Teilen Europas einzubeziehen.
1 Nature Geosci., Onlineausgabe vom 15. März 2021 , 2 Comm. Earth & Env. 2, 61 (2021).